V opeře
Meine sehr verehrten Damen und Herren, willkommen zu dieser zehnten Ausgabe meiner Abenteuer in Tschechien.
Meine Rückfahrt von Innsbruck nach Prag am Donnerstag letzter Woche gestaltete sich um einiges billiger als meine recht überstürzte Fahrt von Prag nach Innsbruck. Dank tschechischer Bahn zahlte ich für den Fahrschein von München nach Prag nur ca. 15€, und das vollkommen ohne Ermäßigung. In München nutzte ich die halbe Stunde Umsteigezeit, um den schon allseits in der Luft liegenden Biergeruch zu inhalieren – das Oktoberfest kündigte sich im Sauseschritt an. Auch der Rest der Fahrt sollte irgendwie im Zeichen dieses alkoholischen Genussmittels stehen, denn in Plzeň (Pilsen) stieg eine ganze Horde von italienischen Fußballfans zu, die mein bisher so ruhiges Zugabteil in eine feucht-fröhliche Afterparty verwandelten.
Am Abend darauf kam auch schon meine Freundin aus Kopenhagen angereist. Es war ihr erster Aufenthalt in Prag, und so holte ich sie abends vom Flughafen ab, gefolgt von einem Abendessen im Ristorante Roma Uno. Immerhin haben wir dort nicht à la Susi & Strolch unsere Nudeln geteilt, sondern von den ausgezeichneten Pizze profitiert. Ein Wermutstropfen war allein die Tatsache, dass in fast allen Bereichen des Restaurants Rauchen erlaubt war, mit der Ausnahme eines kleinen, nicht abgeschlossenen Bereichs mit direkter Aussicht auf den Pizzaofen, wo allerdings eine geradezu tropische Hitze vorherrschte. Diese Beobachtung lässt sich leider auf viele tschechische Lokale umlegen, was erst jetzt auffällt, wo man langsam nicht mehr im Freien sitzen kann. Die Tschechen sind außerdem avide Raucher. So richtig habe ich dafür erst einen Blick bekommen, als meine Mitbewohnerin Kateřina die Balkontüre geschlossen hat und ich für einen Besuch in der Küche zwecks Zubereitung meines Frühstückstees die Luft anhalten musste. Die Rauchschwaden setzten sich leider auch in den Vorraum meines Zimmers fort, was mich zum Einschluss in letzterem bewog. Am folgenden Tag fiel mir auf, wie viele Passanten mit Glimmstängel unterwegs waren. Sie sind überall!
Am Samstag unternahm ich mit meiner Freundin eine Stadttour, die uns unter anderem über das Muzeum Antonína Dvořáka führte, in dem mich die dortige Museumswärterin gleich wiedererkannte und uns ohne Eintritt einließ. Eine Kollegin der Museumswärterin empfahl mir einen Besuch des Geburtsortes von Dvořák, den man über die Zughaltestelle Nelahozeves zámek erreichen könnte. Dort befinden sich auch ein Schloss und eine Kirche. Nach der kurzen Visite im Museum hatte ich für meine Freundin noch eine Überraschung vorbereitet, nämlich ein Konzert an der Tschechischen Technischen Hochschule, wo ein Ehepaar Stücke am Klavier für vier Hände zum Besten geben sollte, die auch meine Freundin und ich schon zu zweit gespielt hatten. Dieses Konzert wurde mir von Josef vermittelt, nur stellte sich leider heraus, dass er sich im Monat geirrt hatte und das Konzert erst im folgenden Monat stattfinden soll. So mussten wir ungehörter Dinge wieder abziehen. Dafür statteten wir dem Nationaltheater einen Besuch ab, wo wir Karten für die Oper “Madame Butterfly” am folgenden Abend reservierten. Studentenpreis in einer mittigen Position um ca. 9€ pro Person. Dann sahen wir zum ersten Mal an diesem Tag die Moldau, die in der Dunkelheit ihre magische Wirkung mit der Burg im Hintergrund nicht verfehlte. Nach einem Spaziergang durch die Kleinseite ging es dann in mein Lieblingsrestaurant “U Magistra Kelly”, das auch den hohen französischen Ansprüchen meiner Freundin genügen konnte. :)
Am Sonntag kam dann die Altstadt an die Reihe, die wir allerdings aufgrund des hohen Besucheraufkommens bald wieder hinter uns ließen und über die Pařížska zugunsten des Letná-Parks auf der Anhöhe über der Stadt verließen. Dort schwang das elektrische Metronom seinen altgewohnten Takt, und die daran angebrachte Wäscheleine mit Schuhen baumelte fröhlich vor sich hin. Zu Mittag gingen wir in das nahe meiner Arbeitsstätte gelegene 500 Restaurant, wo wir eine ausgezeichnete Pizza “Capra” und anschließend eine ebenso gute Mousse au chocolat genossen. Interessant war auch der Hinweis auf dem Menü, dass es kein WLAN im Restaurant gäbe, sodass die Leute sich mehr auf das Essen konzentrieren und miteinander reden könnten. Die Gaumenfreuden sollten noch nicht zu Ende sein, denn auf dem Weg zur Prager Burg gerieten wir in eine Art Weinmesse (Vinobraní), wo wir ein Gläschen Burčák, auf österreichisch Sturm, verkosteten. Danach ging es nach einer kurzen Siesta in die Burg und bald darauf auch schon in Richtung Národní divadlo, wo wir uns also “Madame Butterfly” von Puccini zu Gemüte führten. Unsere Sitzposition in der Mitte war eigentlich ausgezeichnet, nur leider hatte ich Probleme, die Übertitel zu lesen – ein Besuch beim Optiker steht dringend wieder einmal an. Das Nationaltheater verwirrte uns durch seine verwinkelte Architektur, durch die wir fast zehn Minuten brauchten, um unseren Platz zu finden. Die Stiegenhäuser machen Schloss Hogwarts Konkurrenz.
Am Montag in aller Herrgottsfrühe machte sich meine Freundin wieder zurück auf den Weg nach Kopenhagen. Einige Stunden später hatten wir unser wöchentliches Treffen auf der Arbeit, bei dem ich meine Fortschritte bei der Implementierung eines neuen Theorembeweisers vorstellte. Dabei platzte meinem Betreuer Josef der Kragen, als ich erklärte, dass ich eine gewisse Methode in meinem Projekt noch nicht implementiert hatte, die er mir schon seit längerem vorgeschlagen hatte. Durch diesen für mich unerwarteten Wutausbruch konzentrierte ich mich für den Rest der Woche auf die Implementierung dieser Methode.
Ab Donnerstag begann allerdings ein weiteres Ereignis, nämlich PiWo, das für “Prague Inter-reasoning Workshop” steht. Ich nahm schon zum dritten Mal an dieser illustren Veranstaltung teil, wo es um Theorembeweiser und Maschinelles Lernen geht. Die meisten Teilnehmer kannte ich schon, mit Ausnahme eines gewissen Christian Szegedy, ein ungarischstämmiger Forscher bei Google, der sich seit ca. einem Jahr mit der Integration von neuronalen Netzwerken in Theorembeweisern beschäftigt. Laut seiner Aussage hätten vor fünf Jahren Forscher im Bereich Bilderkennung noch über die neuronalen Netzwerke gelacht, und heutzutage seien neuronale Netzwerke die besten Systeme zur maschinellen Bilderkennung. Bis jetzt sind die Ergebnisse von neuronalen Netzwerken in Theorembeweisern noch recht bescheiden, aber die Erfahrung der Bilderkennungs-Forscher legt nahe, diese Technologie nicht zu unterschätzen. Meine Intuition ist allerdings, dass Theorembeweisen ein deutlich schweres Problem als z.B. Bilderkennung oder Go ist, da menschliche Experten in gegebener Zeit eine relativ gute Einschätzung abgeben können, ob auf einem Bild z.B. ein Eisbär zu sehen ist oder ob ein Go-Zug eine gute Idee ist; bei logischen Aussagen jedoch ist es auch für Menschen extrem schwierig, ihren Wahrheitsgehalt einzuschätzen, was man auch daran sehen kann, dass der Wahrheitsgehalt vieler logischer Aussagen bis heute unbekannt ist.
Es fiel mir besonders ein Teilnehmer an dem Workshop auf, den ich hier als “O.” bezeichnen werde. O. zeichnete sich jedenfalls durch seine häufigen Anspielungen auf meine österreichische Herkunft auf, die mir durchaus nicht freundlich vorkamen. Ein imaginäres Beispiel: “Was, du weißt nicht, wen diese Status darstellt? Ist diese Person denn in Österreich nicht bekannt?” Ich hatte schon 2014 das Vergnügen, mit O. denselben Workshop zu besuchen, und ich musste leider konstatieren, dass er sich seither nicht sonderlich verändert hatte. Von 2014 war mir noch lebhaft in Erinnerung, dass von seiner Seite ein Trommelfeuer der Empörung auf mich niederging, als ich gewagt hatte, versehentlich “Karlštejn” wie “Karlstein” auszusprechen. Da dieses Verhalten häufiger vorkam, hatte ich nach einiger Zeit Angst, überhaupt irgendetwas zu sagen, da ich zu jeder Zeit eine heftige Kritik oder Verballhornung befürchten musste. Dies war leider auch dieses Jahr der Fall, bis ich am Donnerstag Abend nur mit ihm in der Metro saß und er nach meiner Antwort auf seine Frage, wann ich denn wieder nach Innsbruck zurückkehren würde, sofort wieder anfing, von Österreich zu sprechen. An dem Punkt machte ich ihm klar, dass mich die ständigen Österreich-Referenzen auf die Palme brächten und dass ich in Zukunft eine deutliche Reduktion solcher Referenzen wünsche. Am Ende dieser Unterredung schien er gemerkt zu haben, bis zu welchem Punkt es mir ernst ist in dieser Sache.
Am Freitag setzte sich O. allerdings nochmals ordentlich in die Nesseln, als die Rede auf Innsbruck kam und er es als “shithole” bezeichnete, ohne allerdings irgendwie zu begründen, wie er zu dieser Einschätzung gelangte. Als er mir dann mehrfach an diesem Tag spaßhaft die Hand geben wollte und ich ihm dies verweigerte, beklagte er sich, dass er doch mein Freund sein wolle und ich mich ihm gegenüber so feindlich verhalte. Da sagte ich ihm schlussendlich, dass es zumindest notwendig sei, dass er sich für seine Aussage bezüglich meiner Heimatstadt entschuldige, da ich Leuten, die meine Heimat beleidigen, grundsätzlich nicht die Hand gebe. Dies sah er ein und entschuldigte sich auch. Nach dem abendlichen Besuch mit den Workshopteilnehmern in einem indischen Restaurant wollte O. noch ein Bier trinken gehen, und da die anderen Teilnehmer schon gegangen waren, ließ ich mich dazu überreden. So kam es zu der etwas bizarren Situation, dass ich mit O. tatsächlich auf ein Bier ging, und dies gestaltete sich erstaunlich angenehm, da er die bis dahin üblichen untergriffigen Bemerkungen unterließ und wir sogar einen Dialog auf Tschechisch unternahmen.
Am Samstag starteten wir einen Ausflug in das “Böhmische Paradies” (Český ráj), ein Landschaftsschutzgebiet im Norden von Prag. Wir fuhren zuerst mit dem Bus nach Turnov und gingen dann von dort zu Fuß weiter zur Burg Valdštejn. Auf dem Weg dorthin verdrückten wir ein Langoš, das mir bis dahin nur aus dem Lied “Die Omama” von Ludwig Hirsch ein Begriff war. O., der auch bei dem Ausflug dabei war, verhielt sich relativ brav, mit der Ausnahme dessen, dass er unbedingt von mir das Lied “Steirermen sein very good” lernen wollte und es dann am Weg laut grölte. Dazu kam auch, dass er bei uns entgegenkommenden Leuten laut Deutsch sprach, und zwar so etwas wie “Ja, ja, ja, Tschechien ist schön, wir werden hier alles kaufen, ja, ja, ja …” Auf der Burg Valdštejn bot sich uns jedenfalls ein atemberaubendes Panorama auf mehrere natürlich entstandene Türme aus Stein, die von allerhand Abenteuerlustigen beklettert wurden. Die Rückkehr gestaltete sich etwas aufwändiger, da uns in Turnov eröffnet wurde, dass der Zug nach Prag streckenweise durch Busse ersetzt würde. So kamen wir erst mit einiger Verspätung in Prag an, wo wir erneut Probleme hatten, ein qualmfreies Lokal zu finden. Am Ende wurde es dann ein Döner. :)
Am Sonntag erkundete ich meine direkte Umgebung, nämlich die Olšanské hřbitovy, auf Deutsch Wolschaner Friedhöfe. Diese verströmten im einsetzenden Herbst eine morbide Atmosphäre, die ich bald im Laufschritt hinter mir ließ. Ich lief dann zu einem großen Park, den ich am Vortag mit der Straßenbahn auf dem Weg zur Bushaltestelle durchfahren und in dem die Tram eine recht beachtliche Geschwindigkeit erreicht hatte, inklusive einer wunderschönen Aussicht auf den Nordosten der Stadt, denn die Tram bewegte sich einen Hügel hinab. Nach dem Laufen speiste ich zu Abend mit meiner Mitbewohnerin Jeon.
Ich wünsche meinen Lesern eine schöne Woche und bis bald!