Tirolská invaze v Praze
Meine sehr verehrten Damen und Herren, willkommen zu dieser achten Ausgabe meiner Abenteuer in Tschechien, diesmal mit einer Beilage über Dänemark! :)
Letzte Woche ist der übliche Artikel ausgefallen, da meine Wohnung von der Tiroler Invasion heimgesucht wurde, in der Gestalt meiner Freunde Gerald und Knappi. Die beiden sind am Dienstag im Rahmen einer großen Osteuropa-Tour eingetrudelt und haben mich mit ihrem Besuch bis zum Donnerstag beehrt. Am Donnerstag bin ich dann selbst nach Kopenhagen zu meiner Freundin geflogen, wohin mir meine Kollegen fast nachgefolgt wären, denn sie hatten schon einen Monat zuvor einen Flug von Prag nach Kopenhagen (tschechisch: Kodaň) einen Tag nach mir gebucht, vollkommen ohne von meinen eigenen Reiseplänen zu wissen. Leider war es ihnen dann allerdings nicht geglückt, eine günstige Unterkunft zu erhalten, da sie auf Couchsurfing keine Antworten erhielten und Hotels in Kodaň extrem teuer sind, so wie auch leider fast alles andere. Glücklicherweise hatten sie auf ihrer Reise zwei Damen kennengelernt, die am Sonntag über Prag nach Hamburg mit dem Auto fahren wollten, und entschlossen sich kurzerhand dazu, Kopenhagen links liegen zu lassen und stattdessen in weiblicher Begleitung die Nordseemetropole zu entdecken. Zur Überbrückung der Zeit in Prag blieben sie auch noch nach meiner Abreise in meinem Zimmer, was glücklicherweise mit meinen Mitbewohnern in Ordnung ging. Jedenfalls verbrachten wir eine sehr schöne Zeit zusammen in Prag, während der ich versuchte, ihnen die Essenskultur (erfolgreich!) als auch die Sprache (weniger erfolgreich) der Tschechen näherzubringen. Immerhin reichte es am Ende für ein paar grundlegende Vokabeln à la “danke” (děkuji) oder “Prost” (na zdraví). Auch ich wurde durch diesen Besuch kulturell stark gefordert, etwa durch die Frage Geralds: “Erzähl uns die Geschichte von Tschechien!” Dabei natürlich großes Interesse an dem wechselhaften Verhältnis zu Österreich. (Dies spiegelt sich übrigens auch in den Diskussionen mit meinen Arbeitskollegen, insbesondere Josef, wieder.) Wir sahen uns zusammen die Prager Burg an, wobei wir beim Eingang von der Polizei kontrolliert und unsere Rucksäcke durchsucht wurden. Der Anblick der pražský hrad bei goldenem Sonnenuntergang war es jedoch wert.
Außerdem sahen wir die zlatá ulička, also das Goldene Gässchen in der Burg, in der Franz Kafka für einige Zeit gewohnt hat.1 Normalerweise muss man Eintritt in besagtes Goldenes Gässchen zahlen, was sicher schon für die eine oder andere Goldene Nase gesorgt hat, aber wir blieben aufgrund der späten Stunde davon und von den sonst zahllos auftretenden Touristenmassen verschont. À propos: In der Prager Metro-Zeitung las ich einen Artikel, in dem die häufigsten Ursprungsländer der Touristen in Prag aufgelistet waren. Darunter fand sich Deutschland, Amerika, Russland, Polen, Slowakei, China, Südkorea … aber nicht Österreich! Und tatsächlich deckt sich das mit meinem persönlichen Eindruck, dass sich in Prag um einiges mehr Südkoreaner tummeln als meine Kompatrioten, da ich doch sehr selten Österreichisch höre, obwohl meine Ohren auf die allerfeinsten Austriazismen geeicht sind. Jedenfalls kam ich durch Gerald und Knappi in den Genuss meines heimatlichen Idioms, inklusive Diskussionen des Genres, ob denn “kostenloser Eintritt” korrektes Deutsch wäre (sei?). Ach ja, deutsche Sprache, schwere Sprache.
Hingegen in Kopenhagen kam ich mit der dänischen Sprache sehr gut zurecht und konnte durchaus nicht die Behauptung eines Dänen nachvollziehen, dass Dänisch eine der fünf schwersten Sprachen der Welt sei. Grundlage für diese Behauptung war unter anderem, dass das Dänische einige Laute hätte, die mich persönlich an das Stammeln eines betrunkenen Matrosen erinnerten. Vielleicht ist das symptomatisch für Dänemark, in dem Schiffe und das Meer eine so große Rolle spielen, hängt doch scheinbar in jeder Kirche ein Modellschiff.
Die Kirchen sind übrigens nach protestantischem Vorbild sehr klar und aufgeräumt, was einen angenehmen Kontrast zu dem in unseren Breiten vorherrschenden barocken “horror vacui” darstellt. Die schönsten Parks in Kopenhagen scheinen darüber hinaus die Friedhöfe zu sein, denn dort treffen sich die Leute und legen sich zwischen den Gräbern auf die Wiese. Scheinbar war bis vor kurzer Zeit sogar das Radfahren im Friedhof erlaubt! Auch das Verhalten gegenüber seinen Toten scheint für Dänemark charakteristisch zu sein, da es von ausgesprochener Entspanntheit geprägt ist. Auch als wir z.B. vor der oben erwähnten Kirche (mit Modellschiff) standen und zögerten, sie zu betreten, kamen zwei Männer vorbei, die unser Zögern bemerkten und uns sofort versicherten, man könne die Kirche besuchen: “It’s a public place.” Die Dänen scheinen auch sprachlich sehr weltoffen zu sein, was sich darin bemerkbar macht, dass es vollkommen normal scheint, sich auf Englisch im Alltag durchzuschlagen. (Vielleicht ist das auch eine Folge der Perzeption von Dänisch als fünftschwerster Sprache, dass die Dänen aufgegeben haben, die Beherrschung ihrer Sprache vorauszusetzen.) Weniger weltoffen scheinen sie im Bezug auf ihren großen Nachbarn Schweden zu sein, der eine ähnliche Rolle für die Dänen einnimmt wie z.B. Deutschland für Österreich. Ein Däne hat sich sogar dahingehend geäußert, dass ihm das reine Hören von schwedischem Akzent Übelkeit bereiten würde, als wäre es genetisch bedingt. Hingegen seien die Beziehungen zu Deutschland oder Norwegen um einiges freundschaftlicher. Zum Beispiel gehen viele Dänen in jungen Jahren für ein Jahr nach Norwegen, um dort zum Beispiel in einem Hotel bei freier Kost und Logis zu arbeiten, und kehren nach diesem Jahr dann um ca. 40.000€ schwerer nach Dänemark zurück. Ich war jedenfalls von Kopenhagen sehr begeistert, unter anderem auch, was den Verkehr anbelangt. Und damit spreche ich gar nicht von den omnipräsenten Fahrrädern, deren große Verbreitung das Radfahren scheinbar sogar schon wieder geradezu unangenehm macht. Nein, ich meine vor allem die S-Bahn (S-Tog) und die Metro, die beide sehr leise und schnell dahingleiten. Der S-Tog ist darüber hinaus mit sehr schönen Sitzbezügen ausgestattet und verfügt über ein Ruheabteil am Ende des Zuges, in dem auch wirklich Ruhe herrscht, im Gegensatz zu den Zügen anderer Länder. So machte es mir auch überhaupt nichts aus, jeden Tag per S-Tog ca. 20 Minuten (pro Richtung) von der Innenstadt in den Vorort “Holte” zu pendeln – vielleicht auch deshalb, weil mich mit Holte ein sehr grüner Vorort erwartete, in dem wir von der S-Tog-Station direkt mit dem Fahrrad zu unserer Wohnstatt fahren konnte. Das ist schon eine ganz andere Sache als z.B. in Praha-Krč, wo ich beim Ausstieg aus der Metro von einer Art Betonhölle empfangen wurde und der Bus und das damit verbundene Warten quasi alternativlos war. Die Restaurants in Kopenhagen sind ebenfalls sehr konkurrenzfähig, wenn auch ausgesprochen teuer. Genau wie in Tschechien gibt es auch in Dänemark Kronen als Währung, wobei eine dänische Krone etwas mehr als zwei tschechischen Kronen entspricht. Leider sind die Kronen-Preise in den beiden Ländern aber annähernd die selben, weshalb man also in Dänemark üblicherweise für das selbe Essen mehr als doppelt so viel zahlt wie in Tschechien.
Als Student kommt man in Dänemark jedenfalls voll auf seine Kosten, da anscheinend alle Studien gratis sind und jeder Student eine Unterstützung vom Staat erhält. Was wären also eigentlich Gründe, um nicht in Dänemark wohnen zu wollen? Vermutlich der triftigste Grund ist der, dass das Land so platt ist wie eine Flunder. Sogenannte “Berge” wie der Himmelbjerget (Himmelsberg) mit 147 Metern Höhe zeugen eher vom Humor der Dänen als von deren bergsteigerischen Fähigkeiten. Ausländer, bzw. ausländische Autos scheinen sich übrigens sehr wenige nach Kopenhagen zu verirren – die Kennzeichenlandschaft ist bis auf sehr, sehr wenige Ausnahmen weitestgehend homogen und in dänischer Hand. Nur rund um die Wohnsiedlung Christiania nimmt die Ausländerdichte sprunghaft zu, was vielleicht mit dem dort von der Polizei geduldeten Drogenkonsum zu erklären ist. Plötzlich sieht man wieder die Polen, die Österreicher, die Deutschen … da sind sie also!
Es scheint allerdings schon seit langem ein Streit zwischen den Dealern der Christiania und der Stadtpolitik zu schwelen, der sich darin zeigt, dass von Zeit zu Zeit die Polizei in Christiania eindringt und dann mit brachialen Methoden – es war von Hammern die Rede – die Buden der Dealer zerstört, die wiederum am nächsten Tage alles schon wieder aufgebaut haben. Auch empfiehlt es sich nicht, dort Fotos zu machen, da man sonst schneller, als einem lieb ist, von großen, muskulösen Typen verwarnt bzw. bedroht wird. Zitat: “Man sieht sie nicht, aber sie sind da.”
Nach meiner Rückkehr von Kopenhagen, wo sich das sehr schöne Wetter bis ca. fünf Minuten vor meinem Abflug gehalten hat, erlebte ich glücklicherweise keinen Prager Kulturschock, sondern wurde mir bewusst, dass es mir auch in Prag sehr gut gefällt, obwohl Kopenhagen vermutlich um einiges sauberer und organisierter als Prag ist. Die Beliebtheit Prags spiegelt sich auch wieder in der Tatsache, dass ich diese Woche erneut Besuch erhielt, diesmal nämlich von meinem bayerischen Kollegen Moritz, mit dem ich früher in dem Chor Chorkuma sang. Er war mit seinem Bruder und zwei Freunden mit dem Fahrrad von Neubeuern (scheinbar eines der schönsten Dörfer Deutschlands) über Passau und den Bayerischen Wald nach Prag unterwegs, wobei sie auf dem Weg dorthin zur Erkenntnis kamen, dass es “in Jerusalem keinen Supermarkt gäbe”, denn in dem kleinen Ort Jerusalem bei Příbram fanden sie keinen. :) Sie waren jedenfalls von der Reise durchaus gezeichnet, da die vielen Hügel auf dem Weg nichts für schwache Nerven sind. Besonders eindrucksvoll fand ich, dass der Bruder von Moritz und seine zwei Freunde erst siebzehn Jahre alt waren und dennoch die ca. 400km lange Strecke mit normalen Fahrrädern in vier Tagen zurücklegten. Es übernachtete dennoch nur Moritz bei mir, und auch nur für eine Nacht, da ich seine Kollegen nicht alle in meinem Zimmer unterbringen konnte. Außerdem hatte ich es zuvor versäumt, meine Mitbewohner von meinem Besucher zu unterrichten, was Mařinka etwas erschreckte, als sie im Bad plötzlich auf einen fremden jungen Mann stieß. Dies brachte mir eine kleine, wohl verdiente Rüge von Kateřina ein. Als ich mich jedenfalls mit den vier Bayern nach der ersten Übernachtung von Moritz in der Nähe der Malostranská traf, fühlte ich mich ein bisschen wie ein Kindergartenonkel, da ich mir doch etwas ältere Gäste erwartet hatte. Sie verhielten sich aber zumindest in Hinsicht auf den Bierkonsum in dem von mir schon häufiger frequentierten Restaurant “U Magistra Kelly” wie Erwachsene. ;)
Sowohl der Besuch von Gerald und Knappi als wie auch der von Moritz und seinen Kollegen bereitete mir viel Freude und auch einigen Spaß, z.B. in den Momenten, als Knappi vor der amerikanischen Botschaft darüber sinnierte, diese mit Hamburgern zu bewerfen. Köstlich. Ich kann allen Leuten, die temporär im Ausland lebende Freunde haben, nur dazu ermutigen, diese einmal zu besuchen. Man bekommt selten einen so angenehmen und günstigen Einblick in das Leben eines fremden Landes.
Abgesehen von den vielen internationalen Besuchen habe ich einiges mit meinen Arbeitskollegen Josef und Chad unternommen – so sind wir z.B. eines Feierabends von der Uni nach Praha-Troja spaziert und haben uns dort eine Klobása, begleitet von einem zünftigen Bier, gegönnt, dabei über so hochgeistige Themen wie “Doctor Who” sinnierend. Auf dem Rückweg über den “Trojský most” sah ich übrigens die größte Dichte von großen Spinnen meines Lebens.
Von meiner Mitbewohnerin Jeanne erfuhr ich, dass es in Südkorea üblich sei, nach der Arbeit noch mit den Kollegen essen zu gehen, dann in eine Bar und dann noch zum Karaoke. Die Teilnahme an solchen Erlustigungen sei nahezu obligatorisch und unter anderem auch ein großes Problem für koreanische Eltern, da sie kaum Zeit hätten, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern, der weitestgehend unbeaufsichtigt aufwächst. Es scheint schlimmer zu sein als “Bück dich hoch”. Selbst wenn wir also von der Arbeit aus sehr oft miteinander Dinge unternehmen, bin ich doch wirklich froh, dass das alles freiwillig geschieht und nicht nach südkoreanischem Modell.
Auch auf der Arbeit selbst geht einiges weiter: Ich habe in den letzten zwei Wochen mehrere Varianten eines automatischen Theorembeweisers entwickelt und habe nunmehr eine Version, die ich in eine Monte-Carlo-Baumsuche integrieren kann, die ich ebenfalls schon implementiert habe. Erste Experimente mit der Monte-Carlo-Baumsuche haben jedenfalls schon vielversprechende Resultate geliefert, sodass dies nach meiner letzten großen Umorientierung das erste in Reichweite befindliche Projekt ist, das hoffentlich bald konkrete Resultate liefern wird.
Soweit von mir. Ich wünsche meinen Lesern noch ein schönes Wochenende und hoffentlich bis bald!
P.S.: Mittlerweile kommen bei mir auch in Prag Heimatgefühle auf, da an ca. jeden zweiten U-Bahn-Station riesige Plakate hängen – genauso wie damals in München!
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An dieser Stelle korrigiere ich übrigens eine Aussage, die ich in einem früheren Artikel getätigt habe, nämlich dass die Prager ihrem berühmtesten Schriftsteller kein ehrendes Denkmal in Form eines öffentlichen Ortes gewidmet hätten, denn wir kamen durchaus an dem Náměstí Franze Kafky im Herzen der Innenstadt vorbei, wo Kafka geboren wurde. ↩