Meine sehr verehrten Damen und Herren, willkommen zu dieser siebten Ausgabe meiner Abenteuer in Tschechien! :)

Die Woche begann wohnungstechnisch etwas chaotisch, da sich das Wohnzimmer bzw. die Küche meiner Gastgeber noch im vollen Umbau befand.

Chaos.
Chaos.

Mittlerweile ist allerdings eine relative, ich möchte fast sagen, Ordnung eingekehrt. Der Esstisch ist wieder frei, aber ich übersiedle dennoch der Ruhe halber seither für mein tägliches Frühstück in mein eigenes Zimmer, da der Kampf gegen den Geräuschpegel durch Fernseher etc. wohl ein ebenso erfolgsversprechender ist wie der von Don Quixote gegen die sprichwörtlichen Windmühlen. Immerhin habe ich hier ein Art Sancho Pansa, nämlich meine Mitbewohnerin Jeanne, die sich als mir in einigen Punkten sehr ähnlich herausstellt. So haben wir schon ein paar Mal zusammen gekocht, und tatsächlich wurde am Samstag die gesamte WG mit einem schmackhaften koreanischen Gericht bedacht. Mmmmhhhh. Ich habe den Eindruck, dass meine tschechische Gastfamilie keinen großen Wert auf gesunde Ernährung legt; so bestand z.B. ihr erster Einkauf, den ich miterlebte, ausschließlich aus sogenannten Softdrinks. Diese kombiniert mit relativ wenig Bewegung, Fernseh-/Computerkonsum und mütterlichen Zigaretten haben meines Erachtens auf die Kinder nicht gerade den besten Einfluss. Aber ich versuche, mich nicht zu sehr in diese Belange einzumischen, dafür aber den Kindern ein bisschen einen Geschmack für gutes Essen zu vermitteln, indem ich sie raten lasse, was sich für Zutaten in dem jeweiligen Essen befinden. (Dabei lerne ich auch gleich selbst wieder ein paar tschechische Wörter.) Interessant ist die Kommunikation zwischen Jeanne und dem jüngsten Spross der Familie, Matuš (8 Jahre alt), denn er spricht kein Englisch und Jeanne spricht kein Tschechisch, sodass sich die gemeinsamen Essen babylonisch ausnehmen.

Immerhin haben wir am Samstag einige sehr interessante Themen diskutiert: Eines der “Lieblingsthemen” von Kateřina ist der Kommunismus in Tschechien, den sie als kleines Kind noch miterlebt hat. Sie erzählte uns z.B. von der strikt geregelten Kleiderordnung im Turnunterricht: Weiße Hemden für alle, blaue Hosen für die Mädchen und rote Hosen für die Jungen, dazu weiße “jarmilky cvičky” für alle. Diese Turnschuhe scheinen ein tschechisches Spezifikum zu sein, denn bei der Suche nach diesen Schuhen findet man fast ausschließlich solche mit den tschechischen Landesfarben (die ich in meiner Naivität zuerst für die französische Fahne gehalten habe). Ich spiele mit dem Gedanken, mich unter http://cvicky.cz/ mit solchen modischen Ausgeburten einzudecken. Sicherlich der Hingucker in Innsbruck!

Weiters haben wir das Verhältnis zwischen Tschechien und China diskutiert: Dieses ist momentan auf diplomatischer Ebene sehr gut, da der amtierende tschechische Präsident Zeman einen guten Draht zu den Chinesen hat und diese wiederum Tschechien als eine Art Einfallstor in die EU ansehen. Nach dem Motto: Wenn die Tschechen uns akzeptieren, akzeptiert uns die EU. Dies führte scheinbar dazu, dass bei einem Besuch des chinesischen Präsidenten in Prag große Teile der Stadt mit chinesischen Fahnen drapiert waren. Das weckte bei Kateřina schlechte Erinnerungen, denn scheinbar gab es auch im tschechischen Kommunismus strenge Vorschriften, an welchem Feiertag welche Fahnen in den Fenstern hängen mussten; zum Beispiel am “Tag der Befreiung”, der das Ende des zweiten Weltkrieges kommemoriert, die tschechische und die sowjetische Fahne. Die ordnungsgemäße Beflaggung wurde in jeder Straße von einer Art Blockwart kontrolliert. Aus diesem Grund weckte die Flagge der Volksrepublik Chinas, eines offiziell kommunistischen Landes, in den Straßen Prags Sorgen. Nicht besser wurde es durch die Tatsache, dass tschechische Demonstranten gegen die chinesische Politik von Chinesen zusammengeschlagen wurden. Kateřina war selbst bei dieser Demonstration dabei, wo sie auch die Flagge Tibets trug.

Kateřina zeichnet jedenfalls immer wieder ein recht dunkles Bild ihres Landes, das in letzter Zeit immer häufiger von Fremdenfeindlichkeit geprägt zu sein scheint. Ich habe davon persönlich nicht sehr viel mitbekommen (im Gegenteil, mir machen die Leute häufig sogar Komplimente für mein noch recht brüchiges Tschechisch), aber ich weiß z.B., dass mein Chef Josef Schwierigkeiten hatte, für meinen Kollegen Chad eine Wohnung zu organisieren, denn ca. 50% der potenziellen Vermieter lehnten eine Vermietung an Ausländer – auch Amerikaner! – kategorisch ab. Es passt auch in dieses Bild, dass die Tschechen nicht sehr viele Flüchtlinge aufnehmen und Widerstand gegen Flüchtlinge durchaus salonfähig ist; so gibt es z.B. Protest-“Lieder” wie Změnu tu my nechcem (Wir wollen hier keine Veränderung).

Die Tschechen haben zwar 2004 für den Beitritt zur EU gestimmt, aber es gab – wie in Österreich der Marmeladenstreit – auch Kontraversen, z.B. um Lebensmittel: So wurde in Tschechien noch vor ein paar Jahren Butter und Käse verkauft, die chemisch nicht viel mit Butter und Käse zu tun hatten, weshalb die EU eine Änderung der Bezeichnungen beanstandete. Die Tschechen jedoch weigerten sich einige Zeit lang, diese Änderungen umzusetzen, und das Thema beherrschte die Titelseiten der Zeitungen. Mittlerweile sind die Richtlinien aber umgesetzt, nichtsdestotrotz empfahl Kateřina, vor dem Kauf eines Käses darauf zu achten, ob im Kleingedruckten wirklich “sýr” (Käse) geschrieben steht, denn nur das sei ein Garant für die “Käsigkeit” des Produkts.

Ein weiterer Kritikpunkt Kateřinas betrifft auch den Suder-Koeffizienten, der in Tschechien sogar noch weit höher sei als in Österreich. So gebe es viele Geschäfte, in denen man als Kunde so behandelt werde, als wäre man primär ein Ärgernis für den Geschäftsinhaber. Zumindest diesen Zug konnte ich schon beobachten, z.B. im Supermarkt, aber auch im Restaurant, als eine Bedienung mit den Worten “mám dosť!” (ich habe genug!) vom Nachbartisch abzog. (Witzigerweise findet man, wenn man im Internet nach “mám dosť” sucht, massenweise Beitrage mit dem Titel “mám dosť mléka”, also “habe ich genug Milch”, was sich auf Muttermilch bezieht.)

Nach diesen eher düsteren Ausführungen muss ich aber sagen, dass mir Tschechien nach wie vor sehr gut gefällt, und ich mit den Macken bisher ganz gut leben kann.

Am Samstag habe ich eine kleine Radtour in das südlich von Prag gelegene Örtlein Okoř unternommen. Auf die Idee hat mich Josef gebracht, der mich von dem dort stattfindenden Festival Okoř unterrichtete. Die Radtour startete ich von meinem Arbeitsplatz in Praha-Dejvice aus, von wo ich nach ca. drei Minuten schon den Radweg in das 20km entfernte Okoř sah. Die restliche Zeit folgte ich geradezu sklavisch den Wegweisern, die mich nicht im Stich ließen. Nur manchmal, als ich z.B. eine steile Straße mit Sackgasse-Schildern hinauffuhr und schon einige Minuten lang kein Radwegschild mehr sah, hätte ich mir etwas mehr Bestätigung gewünscht, noch am richtigen Weg zu sein. Aber ich verfuhr mich kein einziges Mal. Unerwartet hart und zahlreich waren allerdings die Anstiege, die mir neben Böhmens Hain und Flur treue Begleiter waren. Reichlich kompensiert für meine Anstrengung wurde ich in Velké Přílepy im sehr angenehm liegenden Restaurant Špejchar, in dessen Gastgarten ich mich bei Fleischknödeln und einem saftigen Bier einige Zeit lang aufhielt. Und das alles für sensationelle 5,50€, was schon das Trinkgeld mit einschließt.

Hodně dobré jídlo.
Hodně dobré jídlo.

Frisch gestärkt ging es dann noch nach Okoř, wo das Musikfestival schon im Gang war. Nachdem der Eintritt allerdings mehr als 20€ gekostet hätte und ich noch mit dem Fahrrad vor Einbruch der Dunkelheit wieder nach Prag fahren wollte, also nicht allzuviel von dem Festival gehabt hätte, hörte ich mir nur ein paar Stücke von außen an. Es spielte ein gewisser Jaroslav Uhlíř (zu Deutsch “Jaroslaus Köhler”), der in Tschechien scheinbar nicht ganz unbekannt war, da ich vor dem Festivalgelände eine Frau beobachtete, die einen Liedtext mitzusingen schien. Später wäre auch noch David Koller aufgetreten, eines der Mitglieder der Band “Lucie”, über die ich schon letzte Woche schrieb. Das hätte mich sehr gereizt, aber wie schon gesagt, ich wollte noch ein bisschen Fahrrad fahren. Hatte ich die Hinfahrt über den Radweg 0077 bestritten, so diente mir am Rückweg der Radweg 0078, der ebenfalls sehr gut beschildert war. Nach dieser ca. 50km langen Radtour war ich allerdings sehr froh, eine Dusche aufzusuchen, denn ich hatte wirklich ausgiebig geschwitzt. 50km in Tschechien sind ein harter Brocken, den man nicht unterschätzen sollte.

Am Sonntag stattete ich dem Colloredo-Mansfeldský palác einen Besuch ab, beziehungsweise der darin liegenden Ausstellung über den fantastischen Realismus in Prag. Die Ausstellung über die drei Künstler Jan Jedlička, Vladivoj Kotyza und Mikuláš Rachlík hat mir sehr gut gefallen – die Zeit zwischen 1960 und 1968 hat ja bekanntlich einiges an sehr guter Kunst in Tschechien hervorgebracht. Umso mehr fand ich es schade, dass die Räumlichkeiten der Ausstellung in einem sehr schlechten Zustand waren. Man kann es sich so vorstellen wie z.B. die Hofburg in Wien, aber die Tapeten sind löchrig, das ganze Mobiliar ist entfernt und die Wände sind kahl. Es schaut so aus, als hätte irgendwann einmal jemand alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war.

Ich wünsche meinen Lesern noch einen schönen Abend und hoffentlich bis nächste Woche!

P.S.: Zum Schluss noch einen musikalischen Leckerbissen: Sergei Prokofjew, Ouvertüre über hebräische Themen op. 34

P.P.S.: Heute ist auch der Tag, an dem 1968 die Truppen des Warschauer Paktes in Tschechien eingefallen sind. Es befinden sich schon seit einigen Tagen im Zentrum Prags Plakate, die an dieses Ereignis gemahnen.