Ještě jedenkrát
Meine sehr verehrten Damen und Herren, willkommen zu dieser dritten Ausgabe meiner Abenteuer in Tschechien! :)
Es ist eine weitbekannte Tatsache, dass der Osten Österreichs stark von Tschechen beeinflusst wurde und somit viele tschechische Namen geerbt hat. Heutzutage sind die Bedeutungen dieser tschechischen Namen jedoch weitestgehend unbekannt. So ist z.B. eine “lopatka” eine kleine Schaufel, sprich ein “Schauferl”. (Man erkennt auch gleich hier die tschechische Neigung zum Diminutiv wieder.) Weiters ist “strach” das tschechische Wort für … Angst, was perfekt zur populistischen Einstellung der FPÖ passt. Fear sells.
An das musste ich denken, als ich diese Woche ein Angebot bekam, in ein Studentenheim in dem Prager Stadtviertel “Strahov” zu ziehen, nämlich die koleje Strahov. Dieser Name erschien mir als ein böses Omen. Aber vielleicht von Anfang an.
Nachdem ja meine momentane Wohnsituation ab Ende Juli noch eher unklar ist, schrieb ich Dienstag Abend eine Wohnheimplatzanfrage an eine Organisation mit dem etwas sperrigen Namen “správa účelových zařízení ČVUT”, was sich vielleicht mit “ČVUT-Einrichtungsverwaltung” übersetzen lässt. (ČVUT ist die tschechische technische Hochschule, wo ich beschäftigt bin.) Ich hatte nämlich kurz zuvor erfahren, dass die besagte “Einrichtungsverwaltung” auch Heimplätze für Nicht-Studenten wie mich vergibt. Die Antwort kam prompt: Ich sollte mich über das Web-Formular bewerben. Nachdem ich das am Mittwoch mit Hilfe meines Chefs Josef getan hatte, kam am Donnerstag prompt die Antwort, dass ich in ein Zimmer in Strahov einziehen könnte. Wo in aller Welt liegt Strahov? Wie es sich herausstellt, ist Strahov ein kleiner Stadtteil im Westen Prags, der hinter dem Petřín, also einem der größten Prager Hügel, versteckt ist. Dort befindet sich auch das Strahov-Stadion, das zu kommunistischen Zeiten einmal als das größte Stadion der Welt galt, heute aber mehr oder weniger verlassen vor sich hingammelt.
In der Nähe dieses illustren Platzes wurden in den 1960er-Jahren auch Studentenheime errichtet, und zwar ganz im kommunistischen Stile gleich en masse, sodass dort mehr als 4000 Studenten in zwölf Blöcken wohnten. Es kam allerdings 1967 zu Problemen bei der Stromversorgung, die dazu führten, dass die Studenten mit der Parole “wir wollen Licht, wir wollen mehr Licht” (chceme světlo) auf die Straße gingen und durch die kommunistische Führung brutal niedergeschlagen wurden, was schon einen kleinen Ausblick auf den Prager Frühling erlaubt, bzw. auf den darauffolgenden Prager Winter.
Jedenfalls bot man mir in diesen geschichtsschwangeren Örtlichkeiten ein Einzelzimmer an, für ca. 200€/Monat. Ich war von dieser schnellen Entwicklung ziemlich überrascht, hatte doch eine ähnliche Anfrage in Frankreich eine längere Wartezeit hinter sich gezogen. Aber nein! Hier in Tschechien bekam ich sogar eine persönliche Antwort von der Wohnheimverwaltung, nicht von einer Maschine!
Ich begann mich über dieses Wohnheim zu informieren und bekam als eines meiner ersten Suchresultate einen Artikel mit dem Namen Top 5: Nejhorší koleje v ČR, was soviel bedeutet wie “Top 5: Die schlechtesten Studentenheime Tschechiens”. Mit Strahov an zweiter Stelle. Immerhin. Weiters fand ich den Erfahrungsbericht Život na koleji Strahov, in dem sehr anschaulich das Leben in diesen Studenten”blöcken” geschildert wird. Er kulminiert in der Überschrift: “Gibt es noch schlimmere Wohnheime als Strahov?” Na servus.
Freundlicherweise rief Josef für mich bei der Wohnheimverwaltung an um zu fragen, ob es nicht noch ein Zimmer in einem etwas näheren Studentenheim gäbe. Die Antwort war ein klares “ne” (das für mich übrigens verwirrenderweise am Anfang meines Aufenthalts fast so klang wie “no”, was aber Tschechisch für “ja” ist!). Es wurde uns versichert, dass es sich hierbei um Block 12 handle, der sozusagen den Rolls-Royce unter den Strahov-Blöcken darstelle. Diesen lockenden Worten konnten wir nicht widerstehen, und so machten wir einen Besichtigungstermin für den nächsten Montag aus, um zumindest nicht die Katze im Sack zu mieten.
Eine weitere Wohnungsbesichtigung im Westen der Stadt blieb leider ohne Ergebnis, da diese sich mit 365€ recht teuer zu Buche geschlagen hätte und der einzige darin wohnende tschechische Mitbewohner schon während der Besichtigung sich ein höchst einfaches Essen gemacht hatte (Würsteln mit Brot) und dann sofort in sein Zimmer zum Fernsehen verschwand. Weiters wurde mir berichtet, dass er am Wochenende immer nach Mähren nach Hause fahre und generell nicht so umgänglich sei. Das widersprach leider meinem Ziele, durch tschechische Mitbewohner einen Einblick in die tschechische Kultur zu gewinnen.
Ein Lichtblick war meine letzte Wohnungsbesichtigung am Freitag Abend in der Nähe meiner jetzigen Heimstatt, nämlich an der “jugoslávských partyzánů”. Dort traf ich auf einen Herrn “Dvořák”, also einen Tschechen, wie er im Buche steht, und tatsächlich redete er mit mir während dieser “prohlídka” (Besichtigung) ausschließlich Tschechisch, was ich als sehr wohltuende Abwechslung empfand. Die Wohnung schien mir für Prager Verhältnisse zwar auch wieder recht teuer mit ca. 7100Kč (260€), aber die Tatsache, dass in der Wohnung auch gemeinschaftlich gekocht und von Zeit zu Zeit auch gegrillt würde, stimmte mich positiv. Der größte Wermutstropfen: Das Zimmer hat ein Fenster auf die “jugoslávských partyzánů”, die eine mittelgroße Straße mit Straßenbahn ist. Die Fenster sind zwar neu und eine wohltuende Abwechslung von den in Prag vorherrschenden Doppelfenstern, aber ob sie das Rumpeln der Straßenbahn wirklich effizient abschirmen können, konnte ich leider in der kurzen Zeit der Wohnungsbesichtigung nicht einwandfrei eruieren. Da ich allerdings ein gutes Gefühl bezüglich zumindest eines Mitbewohners hatte und die Wohnung arbeitstechnisch wirklich günstig gelegen ist, habe ich soeben ein E-Mail geschrieben, in dem ich mein Interesse an der Wohnung bekräftigt habe. Laut Herrn Dvořák gäbe es ohnehin außer mir schon drei andere Interessenten und für nächste Woche hätten sich noch mindestens zehn weitere angekündigt, sodass ich das Gefühl habe, das Schicksal entscheiden lassen zu können.
Am Freitag Abend kochte ich auch zusammen mit meiner französischen Mitbewohnerin einen Deluxe-Kartoffelsalat, was in mir die Erinnerung an so viele schöne Abende in der Richard-Wagner-Straße hervorrief. So etwas in Prag zu finden wäre definitiv optimal!
Am Samstag begab ich mich mit meinen Arbeitskollegen Chad und Josef auf einen výlet, sprich einen Ausflug. (Wer sich übrigens wundert, warum ich so viele tschechische Wörter in diesem Text verwende: Das ist auch teilweise zur Übung für mich selbst, dass ich die Wörter wiederhole.) Wir fuhren zunächst mit dem Zug von Praha-Podbaba nach Praha-Holešovice, dann mit der Metro nach Ládví und dann schließlich mit dem Bus in das Städtchen Mělník. Dabei war die erste Überraschung, dass es an der Bushaltestelle schon eine Schlange gab, wie es sie in Großbritannien schöner nicht geben könnte. Es war ein Glück, dass wir recht weit vorne in der Schlange waren, denn der Bus füllte sich sehr stark. Auf der Fahrt nach Mělník ließen sich die Prager Straßenschilder noch weit bis ins ländliche Gebiet verfolgen – in meinen Augen ein gewisser Etikettenschwindel, der uns zu der Frage führte, ab welchem Punkt Prag wohl die gesamte tschechische Republik eingenommen haben würde? :)
Mělník stellte eine sehr schöne Abwechslung zu Prag dar. Ein Städtchen mit fast schon dörflichem Charakter, das an dem Zusammenfluss – soutok – der wichtigsten tschechischen Flüsse liegt, nämlich Moldau (Vltava) und Elbe (Labe).
Direkt neben dem Zusammenfluss-Aussichtspunkt befindet sich eine kirchenähnliche Struktur mit einer äußerst schönen Aussicht auf die Stadt.
Ansonsten verfügt Mělník über eine geradezu österreichische Architektur, besonders am Stadtplatz, der bei unserer Ankunft gerade von einem Markt – trh – bevölkert wurde.
Von Mělník fuhren wir mit einem weiteren Regionalzug (osobní vlak) weiter, der mit einem Verbrennungsmotor mit gemütlichen 50km/h durch die Gegend zockelte. Mit einem einzigen Abteil und vielleicht Platz für fünfzig Personen erinnerte er eher an einen Bus oder an eine Straßenbahn. Wirklich süß. Diese Teile fahren übrigens auch als S-Bahn durch Prag.
Wir kamen in Mšeno an, das als Ausgangspunkt für unsere Wanderung dienen sollte. Nach dem Verzehr einer Bratwurst (klobása) am Bahnhof ging es in Richtung Dorfzentrum, wobei wir drei englisch sprechenden Männer bei drei Mädchen scheinbar eine nicht unwesentliche Attraktion darstellten, was durch ein keckes “dobrý den” und darauf anschließendes kollektives Kichern bezeugt wurde.
Von Mšeno ging es über Stock und Stein und Sand zu ein paar recht hübschen Steinformationen, den sogenannten “pokličky”, die man mit “Deckel” übersetzen könnte, da ein Teil des Steines wie ein Deckel auf dem Rest liegt. Der Wanderweg machte durchaus Lust auf mehr, unter anderem Radtouren in die Gegend …
Auf dem Weg kamen wir durch das “náckova rokle”, also das “Nazi-Tal”! Konnten allerdings keine Nazis ausfindig machen.
Die Fantasie treibt in dieser Gegend bei der Namensfindung scheinbar einige Blüten; so gab es dort auch ein Restaurant “u Grobiána”.
Nach einer ausgiebigen Einkehr (aber nicht beim Grobian) besichtigten wir noch das Schloss Kokořín, das uns einen sehr schönen Ausblick über die bewaldete Umgebung (und über die Touristenschwärme) gestattete. In der dortigen Fotoausstellung waren auch einige Postkarten mit deutscher Aufschrift zu sehen, die von der Gegend als Daubaer Schweiz kündeten. Scheinbar war das Gebiet einmal sudetendeutsch. Ich erfuhr von Josef, dass in dieser Gegend auch der Poet Karel Hýnek Macha lebte, der das sehr bekannte Gedicht “Máj” verfasst hatte. An dieser Stelle begann er das Gedicht zu rezitieren (er musste es in der Schule lernen), und plötzlich fiel mir ein, dass ich es schon einmal in meinem Tschechisch-Buch gelesen hatte und sehr schön gefunden hatte. Wer einen Einblick in die Schönheit der tschechischen Sprache möchte, der lausche folgender Aufnahme. (Der Text ist hier.)
Es stellte sich beim Verlassen des Schlosses auf einmal heraus, dass der letzte Bus des Tages (um 16h!) schon eine Stunde zuvor Kokořín verlassen hatte, weshalb wir uns ein Taxi bestellten, das uns zurück nach Mělník brachte, von wo aus wir wieder mit dem Bus nach Prag zurückfuhren.
Am Sonntag fand am Platz direkt vor meiner Unterkunft das Dejvické hudební festival, also das Dewitz’sche Musikfestival, statt. Das hatte leider den unangenehmen Nebeneffekt, dass ich mich nicht mehr auf das Schreiben dieses Textes konzentrieren konnte und somit auf die Arbeit emigrieren musste, wo ich auch auf dem eher harten Boden meine Siesta abhielt. Es ist schon erstaunlich, auf wieviele verschiedene Arten einem der Arm einschlafen kann, wenn man auf dem Büroboden liegt. :) Das ist nunmehr schon das zweite Mal in dieser Woche, dass bis spät in den Abend der Platz beschallt wird. Daher der Titel dieses Artikels: “Ještě jedenkrát” – schon wieder.
Ich wünsche meinen geschätzten Lesern noch einen schönen Abend und hoffentlich bis nächste Woche! Nächste Woche könnte es zu einer zeitlichen Verschiebung dieses Reiseberichtes kommen, da ich auf Konferenz nach Portugal fahren werde. Ich werde mein möglichstes tun, um dennoch zu berichten. :)