Montag

Ich zittere gerade vor Wut, während ich diese Zeilen schreibe. (Montag Abend.) Am Montag in der Früh wachte ich sehr zeitig auf, die Erschütterungen der Autos vor meinem Fenster sehr stark fühlend. Als ich dann endlich aufstand, bemerkte ich, dass bei meinem Zimmernachbarn das Fenster geöffnet war. Nachdem ich ihn schon vormals einmal gebeten hatte, das Fenster doch bitte zu schließen (und meine erste Nacht deswegen eher schlaffrei verlaufen war), klopfte ich zu eher zeitiger Stunde an seiner Türe und fragte ihn höflich, ob er sein Fenster schließen könnte, da ich so nicht schlafen könne. Er antwortete ganz kategorisch: “No. I am not going to close that window. It’s just too hot in that room otherwise.” Daraufhin argumentierte ich, dass wir dieses Fenster gewissermaßen teilen würden und ich so nicht schlafen könnte. Kommentar: “I don’t care about you.” Daraufhin ging er einfach wieder in sein Zimmer und machte die Türe zu, ohne mich noch ausreden zu lassen.

Ok, das hat mich ziemlich erstaunt. Ein solch eklatantes Desinteresse für das Wohlbefinden anderer Personen erschreckt mich. Es war aber noch nicht zu Ende. Etwas später in der Früh sah ich ihn nochmals, und ich bat ihn, ob er zumindest untertags das Fenster schließen könnte, sodass ich eine Siesta machen und den verlorenen Schlaf nachholen könnte. Auf das einigten wir uns schließlich. Es fielen dabei interessante Aussagen wie:

  • You should go see a doctor if you can’t sleep with an open window.
  • Perhaps you are not getting enough exercise if you can’t sleep?
  • What would you do in a war?
  • Why don’t you just move out?

Am Abend allerdings kam das “grande finale”. Ich diskutierte gerade mit meinem indischen Mitbewohner, als der Amerikaner (ich werde ihn bei seinem Namen Greg nennen) zur Tür hereinkam. Und er packte harte Bandagen aus: Es fielen von seiner Seite Aussagen wie:

  • Get this through your thick skull: We do not share a window.
  • You were trying to dictate on me …
  • You are invading my privacy …
  • Your nonsensical statement …
  • If you knock again at 5am at my door, you will see the back side of my hand.

Wenn es nicht so ein blödes Thema wäre, dann wäre es ja eigentlich schon fast wieder lustig. Aber ich sah rot. Und im Moment ärgere ich mich auch gerade darüber, dass das Handy, dessen Mikrofon ich unauffällig eingeschaltet habe, durch das Abschalten des Bildschirms auch die Aufnahme nach ca. drei Sekunden abgebrochen hat. Jammerschade. Ich könnte mir in den Hintern beißen. Am beeindruckendsten war nämlich dieser hasserfüllte Tonfall, gemischt mit den zusammengekniffenen Augen. Das hätte G.W. Bush in seinen besten Tagen nicht zusammengebracht. Grandios.

Das nächstbeste war, dass während unserer sehr aufgeheizten Diskussion auf einmal unser Vermieter auftauchte, worauf sich Greg schnell in ein anderes Thema zurückzog, nämlich einen tschechischen Schauspieler, den er an dem Tag getroffen hatte. Das schien meinen Vermieter sehr zu interessieren. Sehr gerissen. Da kann ich natürlich nur als Spielverderber dastehen, wenn ich nochmals auf das leidige Fenster-Thema zurückkomme, und ich vermute, dass das von Greg auch so taktisch angelegt war. Aber ich wartete einfach ab, bis später eine Bemerkung von Greg kam, die in etwa so sich anhörte:

I also have to say that my stay in this flat has been great. It’s secure, and the people here are great, well except for such inconvenient cases such as Michael …

Haha, wie lustig. Witze über andere machen und sie gleichzeitig beleidigen, sodass die anderen über diese lachen. Klassische Bully-Strategie. An diesem Punkt lenkte ich also nochmals ein und wollte wissen, was der Vermieter davon hält, dass ein Gast einen anderen mehrfach beleidigt beziehungsweise bedroht (“back side of my hand”). Die Reaktion des Vermieters war auch eher abwiegelnd: Er wolle sich nicht in unangenehme Diskussionen einlassen, es gebe eben manche Leute mit einem eher schwarzen Humor. Außerdem: “Life’s too short.” Das ist eine Reaktion, wie sie eigentlich auch österreichischer kaum sein könnte. Sich nur in nichts einlassen, nur keine Position ergreifen. Dabei zwinkerte er mir zu, als wollte er mir sagen: Lass den Typen nur reden, wir regeln das später unter uns. Vermutlich war es ihm auch peinlich, aber er wusste, dass er nur verlieren konnte, wenn er für einen von uns Partei ergriff. Das weiß ich, aber die Zivilcourage fand ich mangelhaft. Wenn ich ein Zimmer an Gäste vermiete und ein Gast den anderen beleidigt bzw. bedroht, dann erachte ich es für meine Pflicht, den bedrohten Gast zu schützen. Oder zumindest nicht zu sagen: “Das geht mich nichts an.”

Nun, ich werde ihn an seinem endgültigen Verhalten messen, aber ich bin innerlich schon enttäuscht. Ich erwäge, die Nacht einfach im Büro zuzubringen, dort ist es ruhiger als hier, und Chad wird vermutlich auch nicht vor 11 Uhr kommen, wenn überhaupt (“černý kašel”).

Dienstag

Um kurz nach Mitternacht begebe ich mich quasi im Pyjama und mit Ohrenstöpseln zu dem Bürogebäude, in dem ich arbeite. Aber ach – die Tür war verschlossen! So blieb mir nichts anderes übrig, als den schmachvollen Rückzug zum Vítězné Náměstí anzutreten. Wo sich mein amerikanischer Nachbar mittlerweile gerade zu einem in meinem Zimmer gut hörbaren Schnarchkonzert anschickte. Die Nacht war also nicht gerade die beste.

In der Früh saß er schon an dem Küchentisch und sagte kein Wort, als ich das Zimmer betrat. Es blieb sodann auch bei einem hartnäckigen gegenseitigen Ignorieren, das mir so auf den Magen schlug, dass ich meine Siebensachen zum Frühstücken packte und mein Frühstück im Büro einnahm. Die Frage einer Sekretärin “jak se máš?” (wie geht es dir?) musste ich somit also mit einer längeren Erklärung beantworten als mit dem habituellen “dobře”. Später erzählte ich meine Geschichte auch meinem šef (Chef ^^), der mir anbot, eine von ihm vermietete Wohnung, in der ein Gästezimmer freistehe, übergangsweise zu benutzen. Dieses Angebot nahm ich dann schlussendlich mit Freuden an, denn es war mir ein grässlicher Gedanke, mich nochmals mit dem Amerikaner in irgendeiner Form auseinandersetzen zu müssen, sei es auch nur optisch. Da die Wohnung allerdings sehr weit im Süden gelegen war, bekam ich noch Unterstützung meiner Arbeitskollegen beim Kaufe eine “lítačka”, also einer Karte für den Prager Nahverkehr. Kostet ohne Ermäßigung 500Kč, sprich ca. 20€, und erlaubt eine Nutzung für den ganzen Monat. (Vergleich: In Innsbruck erhält man zum selben Preis ca. dreizehn Einzelfahrten.)

So fuhr ich denn am Nachmittag hinaus ins Grüne, in das schöne “Krč”. :) Ich war sehr positiv überrascht, denn es war dort draußen wirklich sehr ruhig, und der Mitbewohner der Wohnung war sehr entgegenkommend, und wir kochten dann auch gleich zusammen. Er sprach für mich ein relativ einfaches Tschechisch, sodass ich ausnahmsweise einmal das meiste verstand. :) Beim Essen schauten wir auf seinen Wunsch hin die Simpsons auf Tschechisch, wobei man sagen muss, dass ein guter Teil des Simpsons-Humors auch ohne irgendwelche Sprachkenntnisse verständlich ist. Gottseidank.

Vaření dohromady.
Vaření dohromady.

Mittwoch

Nach einer wunderbar ruhigen Nacht mit Metro und Bus aus dem Süden vierzig Minuten in die Innenstadt. Dabei wieder meine in Frankreich perfektionierte Strategie, Leute im Nahverkehr über Vokabeln auszufragen, angewandt. Diese Wörter merkt man sich üblicherweise am längsten, und im besten Falle erfolgt dann auch gleich noch eine Diskussion, in deren Verlaufe man die Flüssigkeit in der Sprache üben kann.

Zu Mittag aß ich mit der Mitbewohnerin von David, Dana (verkleinert Danka), die ich am Vortag zufällig vor meinem Bürogebäude getroffen hatte. Wie es der Zufall wollte, arbeitet sie ein Stockwerk über mir – Sachen gibt’s. Das Essen wurde jedenfalls in einem Gemisch von Tschechisch und Französisch absolviert, wobei sie ja eine Slowakin ist und ich ein Österreicher. Internationalität pur.

Am Nachmittag traf ich mich mit David, um nochmals die Frage zu besprechen, ob ich sein Zimmer über den Sommer übernehmen möchte. Im Laufe dieser Diskussion hatte ich das immer stärker werdende Gefühl, zumindest eine Nacht testweise in dem Zimmer zu verbringen zu sollen, da mir noch die Erfahrung aus Innsbruck im Nacken saß, wo ich aus einer Wohnung nach ca. einem Monat wieder ausziehen musste, da ich wegen des Autolärms nicht schlafen konnte. Glücklicherweise hatte David an diesem Abend Zeit, weshalb ich mich um 23 Uhr bei der Wohnung einfand und wir daraufhin bald schlafen gingen.

Donnerstag

Fünf Uhr morgens: Sanftes Zittern von Verbrennungsmotoren, gemischt mit einem Hauch von Straßenbahn, umschmeichelt meine verstöpselten Ohren und säuselt mir ins Ohr, dass dieses Zimmer nichts für mich ist. Nach ca. zwei weiteren Stunden dann die Gewissheit, dass dieses Zimmer sogar noch lauter ist als das an dem Vítězné Náměstí, was ich dann David auch leider sagen muss. Als ich ihm erkläre, was für einen Einfluss der Geräuschpegel auf mich hat, sagt er leicht spaßhaft: “Das kommt davon, weil du Österreicher bist.” Nachdem ich schon bei einem meiner ersten Prag-Aufenthalte sehr unangenehme Erfahrungen mit jemandem gemacht habe, der mich immer wieder auf meine Herkunft angesprochen hat, hat mich diese Aussage doch mehr getroffen, als sie es wohl eigentlich tun sollte. In Tschechien ist es jedenfalls scheinbar gar nicht so unüblich, dass sich mehrere Studenten ein WG-Zimmer teilen – im Falle von Davids Wohnung sind es sogar drei Studentinnen im Nebenzimmer!

Am Abend kehrte ich wieder in die Wohnung am Vítězné Náměstí zurück, aus der der Amerikaner sich laut meines Wissensstandes schon auf den Weg nach Rom gemacht hatte. Nichtsdestotrotz zitterte ich, als ich die Türe öffnete, und als dann kurz nach mir ein Schlüssel im Türschloss knackte, fuhr ich zusammen. Doch es handelte sich nur um meine Mitbewohner Eduardo (Spanier) und Natalia (Ukrainerin, Freundin Eduardos). Als ich ihnen von meinen Problemen mit dem Amerikaner berichtete, erzählten auch sie von Problemen, die sie mit ihm gehabt hatten. Es reichte davon, dass er sie komplett ignorierte, bis dahin, dass er das gemeinschaftliche Bügeleisen in seinem Zimmer versteckt hielt und im Widerspruch dazu behauptete, von dessen Aufenthaltsort nichts zu wissen. Weiters hätte er Eduardo in der Früh mehrfach ca. einstündige Monologe gehalten und wäre dann beleidigt gewesen, als ihn Eduardo unterbrach, weil er zur Arbeit musste. Jetzt wunderte mich nichts mehr. Wir aßen zusammen zu Abend und machten dann noch ein bisschen Musik mit Eduardos Gitarre und meiner Stimme.

Freitag

Am Nachmittag fand die “noc kostelů” statt, also die lange Nacht der Kirchen. Da ich unter österreichischen Umständen selbst bei der langen Nacht als Chorist teilgenommen hätte, wollte ich in Prag zumindest als Zuhörer bei einem Konzert anwesend sein. In der Nähe meiner Arbeits- und Wohnstätte befand sich auch eine kleine Kirche, in der ein “komorní koncert hudebního kvarteta”, also ein Kammerkonzert eines Musikquartetts, stattfinden sollte. Der Genuss besagten Konzertes wurde allerdings dadurch geschmälert, dass die Zuhörer in dem Sinne zu einem guten Teil gar nicht wirklich zuzuhören schienen, sondern eher daran interessiert waren, schnell ein paar Fotos der ganzen Kirche zu machen und sich dann wieder aus dem Staub zu machen. Am besten noch mit Blitz und einem gut hörbaren Auslösergeräusch. Was erhoffen sich die Leute davon? Eine Erinnerung an etwas, mit dem sie ohnehin nichts verbinden, weil ihre Ohren für die Musik taub sind? Die meisten machten sich auch nicht einmal die Mühe, das Konzert nur während den Pausen zwischen den Stücken zu verlassen, und unterhielten sich dann auch noch kaum verhohlen, wobei durch die Kirchenakustik das gesamte Gotteshaus in den Genuss ihrer Konversation kam. Davon abgesehen war das Publikum durchgehend in den höheren Semestern anzusiedeln, und ich war wohl über weite Strecken mit meinen sechsundzwanzig Lenzen der weitaus jüngste Zuhörer. Was wird mit all den Kirchen passieren, wenn die regulären Besucher wegsterben?

Samstag

Der Tag begann mit einem sehr seltsamen Internetproblem. Folgende Symptome:

  • Im Webbrowser kann ich auf vor kurzem aufgerufene Seiten wie Google, ORF etc. zugreifen, aber viele andere Seiten lassen sich nicht aufrufen.
  • ping www.google.com ergibt eine lapidare Fehlermeldung: “Connect : Network is unreachable”.
  • route -n gibt eine leere Routing-Tabelle aus.
  • ifconfig gibt bei der WLAN-Verbindung keine IPv4-Adresse, sondern nur eine IPv6-Adresse aus, weshalb ich auch nicht (wie in einigen Internetforen vorgeschlagen) manuell eine Route anlegen kann.
  • Neustart der Netzwerkdienste oder des Rechners ändert nichts.
  • Am Handy funktionieren alle Seiten über das WLAN wie gewohnt.
  • WTF?

Nach stundenlanger Problemdiagnose gehe ich schließlich auf die Arbeit, wo das Internet tadellos funktioniert. Da mir nicht einmal ein Rettungssystem auf einem USB-Stick zur Verfügung steht, lade ich mir ein neues Xubuntu herunter, was mir auch gleich eine Ausrede dafür gibt, meinen Rechner wieder einmal neu zu installieren und somit von Altlasten zu säubern. :) Am Abend funktioniert das Internet in der Wohnung ohne ein Zutun von mir wieder wie gewohnt – sehr seltsam.

Gerade rechtzeitig, denn ich wollte mich noch über ein weiteres kulturelles Ereignis in Prag informieren: Die “Pražská muzejní noc”, also die “Prager Museennacht”. Wahrhaftig, diese Woche war eine “týden nocí”, also einer “Woche der Nächte”. :) Wie es der Zufall so wollte, traf ich kurz vor dem Weggehen noch auf Eduardo und Natalia, die mir erzählten, dass sie auch gerade auf dem Weg zur langen Nacht wären und ob ich mitwollte? So fuhren wir also zu dritt nach Prag zum “stomatologické muzeum”, wo wir Freunde von E&N trafen, nämlich ein weiteres spanisch-ukrainisches Paar. Interessant war für mich vor allem die Ukrainerin, Jana, die schon seit sechs Jahren in Prag lebte und ein für mich sehr verständliches, da nicht allzu fortgeschrittenes, Tschechisch sprach. Wir mussten feststellen, dass vor dem Eintritt in das Museum eine ca. zweistündige (!) Wartezeit zu absolvieren gewesen wäre, weshalb wir uns schnell auf zum nächsten Museum machten, nämlich das “muzeum Antonína Dvořáka”, dessen Besuch ich übrigens wärmstens empfehlen kann, da ich letztes Jahr dort schon gewesen war und überaus freundlich durch das Museum geführt wurde, wobei ich (vermutlich wegen meiner Tschechischkenntnisse) sogar nicht einmal den (ohnehin geringen) Eintritt zahlen musste. Wir besuchten dann in kurzer Folge nacheinander den “botantická zahrada” (botanischer Garten) und in dem “Chlupáčovo muzeum historie země” (Naturgeschichtliches Museum Chlupáč). Allen diesen Museumsbesuchen gemein war entweder eine lange Warteschlange oder ein komplett überfülltes Museum. Dies führte zu verstärktem Murren von Seiten der spanischen Männer, von denen das Wort “birra” mit erhöhter Frequenz vernommen werden konnte. Wir beließen es dann auch nach den besagten vier Museums-Kurzbesuchen dabei und gingen auf ein paar Bier aus in der Innenstadt. Als wir damit fertig waren, war es eh schon fast Mitternacht, weshalb wir dann direkt metrem nach Hause fuhren.

Sonntag

Das große Faulenzen, bzw. Blog-Schreiben. :)

Mit großem Bedauern musste ich auch vernehmen, dass E&N ausziehen würden, und zwar noch am selben Tag in ein neues Appartement im Osten von Prag. Wir nutzten die Abschiedsstimmung für ein kleines gemeinsames Konzert, bei dem ich unverhofft zu guitarristischen Ehren kam, während außen am Vítězné Náměstí die Wassermassen zu Boden strebten.

Vítězné náměstí -- zpívání v dešti.
Vítězné náměstí -- zpívání v dešti.
Hudebníci.
Hudebníci.

Das war es auch schon wieder für diese Woche. Ich wünsche meinen Lesern noch einen schönen Tag und hoffentlich bis bald. Brzy ahoj!

P.S.: Zum Schluss noch zwei Lieder, wobei das erste durch die Fußball-EM bedingt ist und das zweite ähnlich wie das erste die Hoffnung auf einen Wandel zum Ausdruck bringt. Change is in the air.