Am 13.9.2015 betrat ich mit meinen Freunden Didi und Marina Marokko, und damit für mich außereuropäisches Neuland. Unser Flug, schon vor Monaten gekauft und dementsprechend billig (Lufthansa), führte uns um 6h von Innsbruck nach Frankfurt und von dort direkt nach Marrakesch. Ein hartnäckiger Husten und Fieber hätten meine Reise beinahe vereitelt, doch mit vielen Taschentüchern gesegnet war die Flugreise überstanden. Der erste Eindruck von Marrakesch: Eine Passkontrolle, die mit ca. zwei Beamten für etwa 200 Fluggäste besetzt war und dementsprechend ca. zwei Stunden dauerte. Dann, den Flughafen hinter sich gelassen, brütende Hitze. Hier mussten wir einen Transport ins Bergdorf Imlil finden, von dem aus wir zum Toubkal, dem höchsten Berg Marokkos, vorstoßen wollten. Es begann ein lustiges Gefeilsche um den Preis des Taxis, das ein paar Taxler dadurch abkürzen wollten, mit sanfter Gewalt unser Gepäck in ihren Wagen zu laden und somit die Oberhoheit über den Preis zu erlangen. Als wir alle Angebote als zu teuer abgelehnt und uns schon zum Gehen gewandt hatten, lief uns ein Taxifahrer hinterher und stimmte zu, uns zu unserem vorgeschlagenen Preis nach Marrakesch zu bringen. Auf dem Weg dorthin machte er uns auch noch das Angebot, direkt nach Imlil weiterzufahren, und ging nach einigem Gefeilsche und Ablehnung seiner recht teuren Angebote auf unseren Preis ein. Wir versicherten unds auch mehrfach, dass der verhandelte Preis sich wirklich auf drei Personen bezog und wirklich in Dirham (10dh ~ 1€) war – meine Freunde hatten schon alle möglichen diesbezüglichen Erfahrungen gemacht.

Nach einer sehr malerischen Strecke, die an des englischen Millionärs Richard Bransons Hotel vorbeiführte und laut Taxler in Mission Impossible 5 vorkommt, erreichten wir das Bergdorf Imlil. Dort trafen wir den guide Omar, der ein richtiges marokkanisches Schlitzohr ist und den meine Freunde schon von ihrer letzten Fahrt kannten, und tranken mit ihm einen thé à la menthe. Kulturschock: Das Plumpsklo im Café. Wir hatten ein Hotel im Bergdorf Aremd gebucht, zu dem wir mit unserem Gepäck per pedes über einen malerischen Pfad aufstiegen, gesäumt von etlichen Kindern, Schafen und wunderschöner Flora. Alle waren zu Fuß oder per Esel unterwegs und schauten so aus, als ob sie diesen Weg mehrmals pro Tag gingen.

Aremd.
Aremd.

Nach ca. einer Stunde erreichten wir Aremd, wo wir erfuhren, dass unser Hotel tatsächlich im Dorf auf der anderen Seite des Tales läge. Aber in Marokko ist eine Lösung selten fern, und einer der umstehenden Männer erbot sich, uns sein Hotel zu zeigen. Marina übernahm die Besichtigung, während ich mich ein wenig mit der Dorfjugend unterhielt, die über ein rudimentäres, aber verständliches Französisch verfügte. Die Rückkehr von Marina brachte uns frohe Botschaft: Eine Nacht für drei Personen mit Frühstück und Abendessen um 300dh, sprich 30€. Für diesen Preis hatten wir die gesamte Herberge für uns, sprich drei Zimmer mit zwölf Betten, die wohl wegen der Sommersaison brachlagen. Nach unserem Einzug irrten wir in Aremd umher, das trotz seiner geringen Einwohnerzahl von ca. 1000 Menschen (und sicher mehr als die selbe Zahl von Schafen, Eseln, Hühnern, Katzen etc.) erstaunlich groß und verwinkelt wirkte. Nach einigem Suchen fanden wir schließlich die Familie, die Didi und Marina schon im vorigen Jahr kennengelernt hatten, und wir wurden dort mit einem thé à la menthe und extrem guten Süßigkeiten (Erdnüsse mit Honig und Sesam) bewirtet. Für das kleinste Kind der Familie, Ali, hatte Marina als Gastgeschenk einen Teddybären im Gepäck, den Ali etwas schüchtern entgegennahm. Er taute dann aber doch auf und spielte mit uns Fangen. Bei unserer Rückkehr ins Hotel erwartete uns unser Gastgeber schon mit einem thé à la menthe (dritter des Tages!) gefolgt von dem Abendessen.

Am nächsten Tag standen wir sehr zeitig auf, um unsere erste Etappe zum Refuge du Toubkal vor der großen Hitze zu bewältigen. Im Dorf winzige Kätzchen, die sich wohl uneingeschränkt vermehren. Dann über ein großes Schotterfeld, neben dem schon einige Dorfbewohner mit langen Stöcken Walnüsse von den Bäumen schlugen. Etwas später trafen wir wieder auf Ali, das Kind unserer befreundeten Familie, der in den Armen eines etwas älteren Jungen auf einem Muli unterwegs war, auf der Stirn eine große (schon desinfizierte) Wunde prangend. Hier haften keine Eltern für ihre Kinder.

Eltern haften nicht für ihre Kinder.
Eltern haften nicht für ihre Kinder.

Etwas höher dann ein weiteres kleines Dorf, Sidi alias Scaramouche, in dem wir zum Schutze vor der stärker werdenden Hitze uns wieder einen “Berberwhiskey” (thé à la menthe) genehmigten. An der Wand fiel ein Plakat “Paris – c’est ici” auf, das für den FC Paris - Saint Germain (PSG) warb. Nach dem Tee besichtigen wir noch das Heiligtum des Dorfes – von außen, denn “Ungläubigen” ist der Zutritt zu islamischen Kultstätten generell verwehrt.

Nach Sidi begann ein sehr steiniger Pfad, der uns zusammen mit der nunmehr gleißenden Sonne sehr ermüdete. Immer wieder kreuzten vollbepackte Mulis unseren Weg, gefolgt von Touristengruppen. Wir hingegen, die wir unser Gepäck selbst trugen, fühlten uns schon bald selbst wie Mulis, da wir mit unzähligen Dingen ausgestattet waren: Schlafsäcke, Stirnlampen, Winterkleidung, Steigeisen, Verbandszeug, …

Wir waren darum sehr froh, um die Mittagszeit unversehrt das refuge des club alpin français zu erreichen, wo sich ein Wiedersehen besonderer Art ereignete: Didi war nämlich schon 1977 das erste Mal am Toubkal gestanden, und er hatte von damals noch ein Foto des Hüttenwirts. Es stellte sich heraus, dass besagter Hüttenwirt auch noch 2015 seinen Dienst auf der Hütte versah, das Foto allerdings nur mit einem “aha” quittierte. Immerhin wies er uns ein eher kleines Zimmer zu, in dem sich noch eine polnische und eine französische Gruppe aufhielt. Überhaupt waren wohl der überwiegende Anteil der Gäste europäisch, die Bergführer und Angestellten hingegen marokkanisch. Hier trafen wir auch wieder auf Bergführer Omar vom ersten Tag, der mir bei der Gelegenheit auch gleich eine marokkanische Mütze schenkte.

Wiedersehen mit Omar.
Wiedersehen mit Omar.

Vor der Hütte trafen wir auf einige interessante Charaktere; z.B. den Australier Andy Udu, der zu wohltätigen Zwecken durch Europa lief (u.a. Wien - Budapest) und dessen Schuhe nur noch durch eine trickreiche Konstruktion nicht auseinanderfielen. Am Abend gab es eine marokkanische Fastensuppe (Harira), gefolgt von einem riesigen Reisberg mit Hähnchen, abgerundet durch eine Melone. Nach dem üppigen Essen gingen wir zeitig schlafen, denn wir hatten für den folgenden Tag geplant, nach der Besteigung des Toubkal zu einem anderen refuge zu wandern.

Ich wachte von selbst auf, und ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass wir mit 5h45 unsere vereinbarte Aufstehzeit von 5h30 schon überschritten hatten. Just in dem Moment, als ich die anderen weckte, schoss mir, dass Marokko ja eine Stunde Zeitverschiebung zu Österreich hat und es daher erst 4h45 war. Nichstdestotrotz stand ich auf und genoss mein Hüttenfrühstück. Um ca. 6h machten wir uns – beileibe nicht die ersten an diesem Morgen – auf den Weg, mit unseren Stirnlampen die Finsternis durchschneidend. Gleich zu Beginn war eine Kraxelei an einer Art Wasserfall angesagt, und von da an kletterten wir durch eine grobe Geröllwüste. Als wir einmal nicht weiterwussten und auf gut Glück einfach nach oben gingen (den Gradienten maximierend), hörten wir eine Stimme hinter uns: “Non, c’est pas bon !” Es war Omar, der uns – mit einem marokkanischen Pärchen im Schlepptau – eingeholt hatte, vollkommen ohne Stirnlampe. Wir schlossen uns seiner Gruppe an, und wenig später ging die Sonne auf. Das Pärchen wurde allerdings bald immer langsamer (die Frau schien sehr erschöpft zu sein), sodass wir sie hinter uns ließen. Bald wurden unsere Mühen durch eine gewaltige Aussicht belohnt, bei der wir den Anti-Atlas (des Atlas südlichen Teil) und auch endlich den Toubkal erspähten, denn dieser hatte sich bisher hinter nicht minder majestätischen Gebirgszügen verborgen. Bei weniger diesigem Wetter soll es auch möglich sein, bis zu Sahara zu sehen. Doch noch waren wir nicht ganz oben. Ich verstieg mich und kletterte über einen Felsscheitel zurück zum regulären Weg, wo wir wieder auf Andy Udu trafen: Dieser hatte die Nacht auf dem Toubkal verbracht und trat nun den Abstieg an. Wenig später erreichten auch wir den Toubkal.

Sicht vom Toubkal.
Sicht vom Toubkal.

Dort oben war es erstaunlich kalt – so konnte ich selbst meine Jause kaum ohne Handschuhe essen. Außer uns waren noch einige andere Touristen am Toubkal, darunter auch einige in kurzen Hosen, als wären sie schnell einmal zum nächsten Supermarkt anstatt auf den höchsten Gipfel des Atlas aufgebrochen. Wir waren jedenfalls vom Aufstieg etwas erschöpft und stiegen nach einer kurzen Rast wieder ab. Dies stellte sich als deutlich schwieriger als der Aufstieg dar, und da ich ein sehr vorsichtiger Absteiger bin, fiel ich hinter meine Freunde zurück. An einem Punkt überquerte ich ein Feld aus riesigen, lockeren Steinen, das sehr unangenehm zu durchqueren war und in dem ich mehr Angst hatte als irgendwoanders in Marokko. Endlich zurück bei dem Refuge hatten Marina und ich starke Kopfschmerzen, vermutlich durch die große Höhe oder den Wassermangel, weshalb wir unseren ursprünglichen Plan, auf eine weitere Hütte zu gehen, begruben und uns zurück in unser geschätztes Hotel bei Omar dem Oberen begeben wollten. Auf dem Weg dorthin kamen wir erneut durch Sidi, wo wir im Café einem älteren Mann eine übel aussehende Wunde an der Hand desinfizierten und verbanden – nicht, ohne ihm noch eine Ration Schmerzmittel zu schenken, denn mit dem staatlichen Gesundheitssystem schaut es eher mau aus. Weiters trafen wir im Café wieder auf Omar, dem wir einen Tee spendierten. Ein paar Stunden später hätte eine Hochzeit im Dorf stattfinden sollen, doch wir waren so geschafft, dass uns selbst ein solches Ereignis nicht zum Bleiben bewegte. Zurück in Armed wurden wir von Omars Frau begrüßt, und zwar mit einer großen Tajine und selbstgebackenem Brot – gibt es schöneres?

Tajine.
Tajine.

Am nächsten Tag kamen wir überein, uns dem Müßiggang hinzugeben und uns vom Toubkal zu erholen. Ich nutzte die Zeit, um an meiner Präsentation (die direkt im Anschluss an Marokko stattfinden sollte) zu feilen. Am Nachmittag begab ich mich dann alleine in das archaisch anmutende Dorfleben von Armed, um den von Didi und Marina besichtigten Wasserfall zu sehen. Nach wenigen Schritten traf ich auf ein paar Kinder, von denen mir ein kleines Mädchen lachend eine Frucht anbot, die in einem Busch am Weg wuchs. Ich nahm sie dankend an und wollte mit ihnen ein bisschen sprechen, scheiterte aber an ihrem nichtvorhandenen Französisch (bzw. meinem nichtvorhandenen Arabisch / Berberisch). Als ich mich zum Gehen wandte, streckte das Mädchen die Hand aus und sagte: “Dirham?” Während ich versuchte, ihr zu erklären, dass ich den Erhalt einer Frucht am Gassenrand nicht für zahlungswürdig empfand, wiederholte sie immer fordernder dieses eine Wort “Dirham!”, bis ich schließlich einfach weiterging, verfolgt von den Rufen der Kleinen. Dieses Ereignis erschütterte mich zutiefst, und ich verstand nun, warum sich manche Touristen darüber beklagten, als “wandelnde Geldautomaten” angesehen zu werden. Plötzlich erschien mir Marokko als eine feindliche, fremde Welt, in der die Ankunft von Menschen wie mir schon kleinen Kindern die Gier nach dem Geld eingebläut hatte. Ich bedauerte zutiefst, dass das beschauliche Armed jemals mit dem Mammon in Kontakt getreten war und sich nunmehr in den Gassen die Plastikabfälle stapelten. Der Weg zu den Wasserfällen führte durch einen lichten Wald von Walnüssen, in dem die Dorfbewohner mit langen Stecken die Nüsse aus den Bäumen schlugen. Ich fragte eine kleine Gruppe von ihnen, ob ich noch am rechten Weg sei, worauf sie mir ein paar Walnüsse anboten, doch ich konnte nicht auf ihr Angebot eingehen, und ihr Lachen erschien mir Spott und Verachtung zu enthalten, für den reichen Europäer, der nicht einmal weiß, wo der Wasserfall ist. Meine Stimmung war gekippt. Ich fühlte mich verfolgt, und fragte mich, ob jemand im Zweifelsfalle für mich einstehen würde, sollte mir etwas geschehen. Mit solch düsteren Gedanken setzte ich mich an den Wasserfall, in dem die Plastikflaschen en masse gegen die Steine stießen, und ich fragte mich: Was haben wir angerichtet?

Am Donnerstag, den fünften Tag unserer Reise, stiegen wir von Armed nach Imlil ab, wo wir eine marokkanische Informationskette aktivierten, sprich: Wir fragten jemanden, ob er Omar den Unteren anrufen könnte zwecks einer Unterkunft. In kürzester Zeit stand ein Maultier da, und mehrere Leute telefonierten unseretwegen hektisch, doch bald verschwand das Muli wieder, und auch unsere Telefonisten schienen (untypischerweise) keinen Erfolg gehabt zu haben, weshalb wir uns auf eigene Faust ein Hotel organisierten, die Angebote von links und rechts ignorierend. Nachdem wir dort endlich unser Gepäck abstellen konnten (wir hatten zusammen mehr als 30kg), starteten wir in Richtung eines Bergpasses. Noch in Imlil kam uns ein kleiner Junge entgegen, der uns direkt mit “Dirham” begrüßte, worauf Didi und Marina die Hände ausstreckten und sagten “ja, danke, wo sind die Dirham?”, sodass der Kleine nicht weiterwusste und das Weite suchte. Gute Strategie. Etwas weiter oben begann ein Walnusswald, in dem rege Aktivität herrschte und wo wir wieder komplett unerwartet auf Omar trafen. Er war einfach überall, und ich hätte mich nicht gewundert, wäre er auf einmal in Innsbruck aufgetaucht. Er zeigte uns noch den Weg zum Pass an, der an einem Bachbett entlang verlief, wo uns die umstehenden Bäume vor der gnadenlosen Sonne Schutz spendeten. Wunderschöner Weg. An einem etwas weniger menschenüberlaufenen Waldstück betätigten wir uns dann selbst als Walnusssammler, zuerst indem wir nur die Nüsse am Boden auflasen, dann indem wir mit Steinen die Früchte von den Bäumen schossen. Wir mussten uns mit Mühe von dieser geradezu süchtigmachenden Aktivität losreißen, als unsere Taschen zum Bersten voll waren und wir aus dem Schutze des Waldes in die Gluthitze traten.

Am Bergpass angelangt trafen wir auf einen jugendlichen Marokkaner, der sich anbot, uns über einen anderen Weg nach unten zu führen – diesmal ganz ohne Dirham. Unser Weg führte uns nämlich zu Omar, dem wir endlich einen Besuch abstatteten. Wir brachten dem alten Schlawiner hauptsächlich Alkohol und Zigaretten mit, da es an an diesem am meisten fehlte. Überhaupt schien Omar ein recht entspanntes Verhältnis zur Religion zu pflegen, denn auf die Situation eines verheirateten Mannes angesprochen, gab er die Devise aus, wenn ihm eine gefällt, dann nimmt er sie sich. Ohne Schnickschnack wie Heirat oder so. Bei uns zeigte sich Omar mit seinem jüngsten Sprosse familiär, und gastfreundlich ohnedies mit dem marokkanisch obligatorischen Tee.

Marokkanisches Familienleben.
Marokkanisches Familienleben.

Zurück in Imlil, wohin uns Omar noch begleitete, sahen wir eine interessante Zeremonie in einem Hinterhof, die ich mich aber nicht direkt zu fotografieren traute, da die solcherart Fotografierten dann gerne Dirham verlangen. Mein Versuch, das Photo der Szene als Selbstporträt zu tarnen, schlug allerdings auch grandios fehl. Nach dem Abendessen flanierte ich noch ein wenig in den Straßen von Imlil, wo ich bemerkte, dass abends so gut wie keine einzige einheimische Frau mehr auf der Straße war.

Am nächsten Tag fuhren wir mit einem Taxi von Imlil nach Marrakesch, wo Taxi übrigens generell synonym ist mit Mercedes. In Marrakesch stiegen wir in das Hotel Cecil ab, das zentraler kaum noch liegen könnte und sogar über eine große Terrasse am Dach verfügte, von der aus man das Treiben am größten Platz von Marrakesch, dem Djemaa el Fna, verfolgen konnte. Dieser Platz zeichnete sich besonders abends, wenn die Gluthitze nachließ, durch eine enorme Besucherfrequenz und durch alle möglichen Arten von Händlern und Gauklern aus. Weiters gibt es dort auch eine enge von mobilen Restaurants gebildete, von Didi so genannte “Fressgasse”, die einem Spießrutenlauf für Touristen gleicht, wird man doch beim Durchschreiten derselben von allen Seiten in seiner vermeintlichen Landessprache angesprochen und zum Verweilen eingeladen. Dabei ist besonders das Sprachentalent der Marokkaner hervorzuheben, die für fast jede Sprache einen Sprecher aufbieten – sogar für Walisisch!

Djemaa el Fna.
Djemaa el Fna.

Eine weitere Sehenswürdigkeit ist der Suq, das Marktviertel, in dem ein ungeheures Gedränge herrscht, trotzdem sich immer wieder Mopeds und sogar Esel durch die Menschenmengen schieben. Es geht dabei alles sehr zivilisiert vonstatten, was uns besonders durch die einzige Ausnahme auffiel: Wir spazierten durch eine kleine Nebengasse des Suq, als wir eine Fahrradglocke hinter uns hörten, dicht gefolgt von einem Radfahrer, der beim Überholen direkt neben Marina sein Vorderrad so drehte, dass es ihre Hose berührte und dort einen Abdruck hinterließ. Als die empörte Marina dies mit den Worten “so ein Trottel” kommentierte, drehte sich der Radfahrer um und sprach im tiefsten Bairisch sinngemäß: “Ich hab doch extra geklingelt, da müssen Sie doch ausstellen!” Daraufhin Didi: “Sie sind sicher ein Deutscher, oder?” – “Ja.” – Didi: “Das habe ich mir gleich gedacht.” Die Moral aus der Geschicht: Im brausenden Leben von Marrakesch verhalten sich die Marokkaner rücksichtsvoller als die Deutschen. Wer hätte das geglaubt?

Suq.
Suq.

Am nächsten Tag besichtigten wir ein Viertel außerhalb des Zentrums, wo sich traditionelle Handwerker befinden, die Touristen um einen kleinen Obolus gerne eine Tour anbieten. Wir sahen uns einen Gerberbetrieb an, wobei der Gestank Marina dazu bewog, eine pflanzliche Gasmaske (aus Pfefferminz?) anzunehmen. Interessanter als die eigentliche Tour war aber deren Ende, an dem ein kleiner Geschäftsraum stand, in dem ein Händler Didi alle möglichen Waren anpries, wobei Didi bei allen Waren erwiderte, dass er diese schon bei unzähligen Marokko-Urlauben (mehr als zehn an der Zahl) schon gekauft hätte. Nach einigen Versuchen gab der Händler auf, aber wir entlohnten ihn dennoch für die Tour.

Nach dieser Erfahrung wurde ich von Didi und Marina in die Unabhängigkeit entlassen, um Marrakesch auf eigene Faust zu entdecken und eigene Erfahrung zu sammeln. Im Zuge dessen führte mich mein Weg in den Suq, wo ich mir marokkanische Schlapfen kaufen wollte. Ich stieß auf einen jungen Verkäufer, der mich einige Modelle anprobieren ließ, trotz meiner Bitte, mir nur einmal den ungefähren Preis zu nennen, auf dass ich vergleichen könnte. Am Ende wollte ich noch nichts kaufen, da ich mich noch in anderen Geschäften umschauen wollte, was ihn dazu bewog, den Preis um ungefähr die Hälfte nachzulassen. Als ich ins Nachdenken geriet, bot er mir zusätzlich noch ein weiteres Paar gratis dazu an, worauf ich in den Deal einstimmte. So weit, so gut. Dann beging ich den kapitalen Fehler, anzumerken, dass ich noch eine Djellaba kaufen wollte. Sofort eskortierte mich der Verkäufer zu einem Freund von ihm, wohl insgeheim über eine schöne Vermittlungsgebühr frohlockend. Bei besagtem Freund ließ ich mir dann eine Djellaba verkaufen, durch die Hitze und den Hunger meines Urteilsvermögens beraubt, was wohl im Endeffekt ein ziemlich teurer Spaß wurde. Immerhin habe ich besagte Djellaba schon einmal testweise auf dem Weg zum Innsbrucker Hauptbahnhof und zurück als soziales Experiment schon einmal getragen – aber das ist eine andere Geschichte.

Nach dem Mittagessen schaute ich mir die Medersa Ben Youssef an, eine mittelalterliche Koranschule mit integriertem “Studentenheim” – äußerst spartanisch ausgestatteten Räumen, die aber immerhin an Sauberkeit durchaus ein Vorbild für gewisse französische Studentenheime darstellen könnten.

Typischer Raum in der Medersa Ben Youssef.
Typischer Raum in der Medersa Ben Youssef.

Weiters wollte ich nach den Gerbern auch meinen Namensverwandten – den Färbern – einen Besuch abstatten, wobei ich wieder den kapitalen Fehler beging, eine marokkanische Vermittlungskette auszulösen, indem ich jemanden fragte, in welcher Richtung die Färber zu finden wären. Statt der Richtung erhielt ich eine persönliche Eskorte, aber nicht zu den Färbern, sondern wieder zu den Gerbern, was ich aber zu spät bemerkte, dennoch höflicherweise noch einmal den Gestank über mich ergehen ließ. Nach der Tour wurde ich gebeten, noch in einen Gerber-Shop mitzugehen (das Prozedere kannte ich schon); da ich aber keine Lust darauf hatte, bot ich an, direkt für die Führung zu bezahlen, was aber geflissentlich ignoriert wurde, weshalb ich einfach davonmarschierte. Ich kam nur eine Straße weit, als mich mein ursprünglicher Führer und ein Gerber mit Zeter und Mordio einholten und sofort 100 Dirham (ca. 10€) forderten, für marokkanische Verhältnisse ein überdurchschnittlicher Tageslohn. Dies verweigerte ich und bot ihnen 10 Dirham, was die beiden zuerst nicht akzeptierten wollten, aber als ich standhaft blieb, doch zähneknirschend annahmen – nicht ohne nach der Verhandlung noch darauf zu beharren, dass jeder von ihnen 10 Dirham erhalten sollte anstatt beide zusammen. Meine Hände zitterten schon vor lauter Furcht, aber ich blieb hier standhaft, worauf einer der beiden vor mir ausspuckte und sich beide dann verrollten. Ich machte mich so schnell wie möglich aus dem Staub, denn ich sah mich schon von professionellen Geldeintreibern verfolgt, und ich hätte meine Hand nicht dafür ins Feuer gelegt, dass mir die umliegende Bevölkerung geholfen hätte. Wieder einmal hatte ich das sehr unangenehme Gefühl, ein geduldeter, aber dennoch verachteter Fremdkörper zu sein.

Zur Erholung von der Aufregung ging ich in die Maison de la Photographie, wo ich mir eine Ausstellung ansah. Dabei kam ich mit einem dort angestellten jungen Marokkaner ins Gespräch, der fließend Deutsch sprach und generell sehr gebildet wirkte. Am Ende der Öffnungszeit lud mich dieser noch ein, mit ihm und den restlichen Mitarbeitern einen kleinen Snack am Dach des Gebäudes zu sich zu nehmen, wo wir uns weiter angeregt unterhielten. Hier hatte ich den Eindruck, auf ein anderes, feineres Marokko zu treffen, das einen starken Kontrast zu den staubigen, marktschreierischen Suqs bildete.

Marrakesch von der Maison de la Photographie.
Marrakesch von der Maison de la Photographie.

So endete unsere Reise am nächsten Tag mit dem Rückflug. Abschließend ist zu sagen, dass Marrakesch um einiges stressiger war als das marokkanische Hinterland, das mit dem Atlasgebirge aber auch für Tiroler sehr eindrucksvoll ist. Zurück bleibt ein Gefühl aus 1001 Nacht, aber auch eines der enormen Gegensätze.