Meine sehr verehrten Damen und Herren, willkommen zu dieser zwölften Ausgabe meiner Abenteuer in Tschechien. :)

Nach meiner Rückkehr aus Brünn empfing mich in Prag kalter Regen, der auch das Wetter der folgenden Tage prägen sollte. Infolgedessen wurde ich schon am Montag krank. Der Herbst – “podzim” – hat nun wirklich begonnen.

Ein Lichtblick in dieser grauen Zeit war auch die Ankunft unseres neuen Mitbewohners Maxime, der ein Erasmus-Student aus Montpellier ist und in Bordeaux studiert, so wie ich vor ein paar Jahren. Wir haben uns auf Anhieb recht gut verstanden, und er hat sich bisher als ein sehr leiser und sympathischer Mitbewohner gezeigt. Auch wenn ich nicht soviel mit ihm unternehmen wie vorher mit Jeon, so ist es doch jetzt in der Wohnung etwas ruhiger, da Jeon die unangenehme Eigenart hatte, ihre Türe auf relativ unsanfte Art zu schließen, was mich immer an Explosionen erinnert hat. Und außerdem ist seit dem Auszug von Jeon auch das Problem des aus dem Kühlschrank verschwindenden Essens nicht mehr aufgetreten. Ich habe ja immer an der Schuld von Jeon gezweifelt, aber jetzt habe ich Zweifel an meinen Zweifeln. Sie hatte zwar kein offensichtliches Motiv, aber es soll ja einfach kleptomanisch veranlagte Leute geben … Weiters habe ich mit Maxime deutlich weniger Sprachschwierigkeiten, denn wir können uns bestens auf Französisch und auf Englisch unterhalten.

Am Dienstag feierten wir somit auch den Einzug von Maxime mit einem sogenannten “Prager Schnitzel”, das – man höre und staune – Kateřina produzierte. Naja, mit einiger Mitwirkung von ihrer Tochter Mařinka. Wie so häufig läuft es nämlich so ab, dass ich Kateřina um etwas bitte und sie dann die Aufgabe direkt an ihre Tochter delegiert. Dass es da von Seiten ihrer Kinder manchmal zu Wutausbrüchen kommt, ist quasi vorprogrammiert. Der Höhepunkt dieser Ausbrüche war am Freitag, als Kateřinas Sohn Matuš eine minutenlange Schreitirade von sich gab, und das laut Jeon nicht zum ersten Mal. Ich weiß nicht, ob das für achtjährige Jungs ein übliches Verhalten ist, aber ich befürchte, dass der ständige Medienkonsum einen Auslöser dafür darstellen könnte. Jedenfalls wurde während unserem ersten gemeinsamen Abendessen glücklicherweise auf mein Ersuchen der Fernseher deaktiviert, und unter diesen Umständen kehrte tatsächlich so etwas wie Frieden ein. Das Prager Schnitzel (“pražský řízek”) zeichnete sich durch eine verglichen mit dem Wiener Schnitzel recht dicke Fleischschicht aus und war im Großen und Ganzen recht gelungen.

Pražský řízek.
Pražský řízek.

Am Dienstag Abend erhielt ich auch die Ergebnisse für meine bisherigen Experimente, und leider fielen die Ergebnisse unterirdisch schlecht aus. Das deprimierte mich durchaus, denn am Tag darauf war Einreichfrist für eine Konferenz in Paris, die mich thematisch und geographisch sehr interessiert hätte. Doch mit solchen Ergebnissen würde ich mich dort vermutlich nicht sehen lassen können. Am nächsten Tag schleppte ich mich noch halbkrank auf die Arbeit, wo ich meine Kollegen um Rat bezüglich meiner Ergebnisse bat. Wie sich herausstellte, hatte ich einen Fehler bei der Optimierung meiner Parameter gemacht, sodass ich irrtümlich nach Parametern gesucht hatte, die die Ergebnisse meines Programms so schlecht anstatt so gut wie möglich machen. Als ich diesen Fehler behoben hatte, startete ich meine Evaluation von neuem – und siehe da! Die Ergebnisse waren um einiges besser als zuvor, sodass ich mich nunmehr auf die Konferenz trauen kann. Die restliche Woche brachte ich mit dem Schreiben meines Konferenzartikels zu, was allerdings gebremst wurde durch eine Nachrichtenmeldung, durch die ich auf einen neuen Editor namens Spacemacs aufmerksam wurde. Seitdem teste ich diesen Editor und bin davon hellauf begeistert! Man hat bei der Benutzung das Gefühl, in der Kommandozentrale eines Raumschiffs zu sitzen, so mächtig erscheint das Programm. Leider startet es auch so langsam wie ein Raumschiff; so habe ich z.B. zum Öffnen dieses Dokuments mehr als dreißig Sekunden gewartet. Zum Glück ist das zweite Öffnen des Programms mit “nur” drei Sekunden deutlich schneller, aber generell ist eine schnelle Festplatte bei der intensiven Benutzung dieses Programmes zu empfehlen.

Am Samstag Nachmittag hatte ich das ständige Sitzen vor dem Computer satt und beschloss, einen Spaziergang zu unternehmen, allerdings zuvor noch schnell das Kinoprogramm zu prüfen. Und siehe da: Es war um 17:45 Uhr eine Liveübertragung von “Tristan und Isolde” aus der New Yorker Met angesagt – und das, nachdem ich mir gerade am selben Tag schon die Ouvertüre zu genau dieser Oper angehört hatte. Ein Wink des Schicksals. So eilte ich direkt zum Kino, wo ich für läppische 400Kč (ca. 15€) diesem magnum opus von Wagner lauschen konnte. Und tatsächlich rührte mich diese Musik erneut zu Tränen. Ich konnte die ganze Ouvertüre durch kaum meine Augen öffnen, so sehr nahm mich diese Mischung aus musikalischer Liebe, Trauer und Hoffnung mit. Der Effekt dieses Stückes ist mit keiner anderen Musik, die ich je gehört habe, vergleichlich. Leider waren die Untertitel nur auf Englisch und Tschechisch und dem Original häufig nicht sehr treu. So wurde aus dem Schwert kurzerhand eine “weapon”, was sich dadurch erklärt, dass in der Inszenierung das Schwert durch eine Pistole ersetzt wurde, genauso wie das Schiff mit einem Radar daherkam und der Tristan ein schmucker Kapitän in Uniform war. Zwischen den Akten gab es einige Live-Interviews mit den Sängern und mit dem Dirigenten Simon Rattle, was mich sehr beeindruckte. Außerdem hatte ich eine interessante Diskussion mit einer Sitznachbarin, mit der ich auf Tschechisch redete und die mir auf Deutsch antwortete. Sie war eine Slowakin aus Trenčín, was laut ihrer Aussage die schönste Gegend der Welt sei und doch einschlägig durch den beliebten Schlager Nedaleko od Trenčína und für ihre schönen Frauen bekannt sei. Der Text des Liedes handelt übrigens von der schönen Kateřina, die unweit von Trenčín lebt, schwarze Augen hat und von dem Sänger begehrt wird. Ein typisches Schürzenjägerlied also, und auch musikalisch seinen Tiroler Äquivalenten erstaunlich ähnlich. Als ich der Slowakin dann eröffnete, dass ich aus Tirol sei, sagte sie: “Das ist nach Trenčín die zweitschönste Gegend der Welt!” Wie sich herausstellte, war sie schon im Ziller- und Stubaital gewesen und hatte vor, nächstes Jahr nach Ischgl zu fahren. Die Tirol Werbung wirkt also scheinbar.

Als ich am Abend wieder in meinem Zimmer war und mein Haupt zur Ruhe betten wollte, bemerkte ich einen etwas unangenehmen Geruch und eine Menge Katzenhaare auf meiner Bettdecke. Eine genaue chemische Analyse (die sogenannte “Schnüffelprobe”) brachte das Resultat: Katzenklo! Zum Glück “nur” kleines Geschäft. Da es allerdings an diesem Abend recht kalt war, blieb mir nichts übrig, als das beste aus meiner Situation zu machen und meine Geruchszellen weitestgehend zu deaktivieren.

Am nächsten Tag bat ich Kateřina um eine neue Decke und schilderte ihr die Situation. Nach einer kurzen und ihr sichtbar peinlichen Diskussion sagte sie mir zu, für meine Zimmertüre einen Schlüssel anfertigen zu lassen, sodass ich ein adäquates Gegenmittel gegen die Katzenpest hätte.

Meinen tschechischen Sprachkenntnissen geht es immer besser; so bin ich schon in der Lage, recht lange Diskussionen zu führen, ohne auf Englisch zurückgreifen zu müssen. Mir sind vor kurzem ein paar Wörter untergekommen, mittels derer ich meine Faszination für das Tschechische erklären möchte: Das erste Wort ist “podvodník”, was auf Deutsch wörtlich übersetzt soviel bedeutet wie “Unterwassermann”. Als ich das Wort zum ersten Mal hörte, dachte ich zuerst an eine Art Taucher oder Seemann, erfuhr dann aber, dass es sich dabei um einen “Betrüger” handelt. Und nach einiger Überlegung erschien mir das auch schlüssig, denn was tut jeder gute Betrüger nach getaner Arbeit? Untertauchen! Das zweite Wort ist “souhlasit”, was mir mit dem englischen Wort “agree” übersetzt wurde. Das Wort “hlas” heißt “Stimme”, und so suchte ich ein deutsches Äquivalent für “agree”, das das Wort “Stimme” enthält. Ich musste nicht lange suchen: “zustimmen”! Dieses Wort könnte auch ähnliche Wurzeln haben wie das französische “être d’accord”, also im Einklang sein, was also in mehreren Sprachen einen akustischen bzw. musikalischen Hintergrund hat. Das letzte Wort ist “pokoj”, das ich bis jetzt immer als “Zimmer” übersetzt habe, aber durch Kateřina habe ich gelernt, dass es auch “Frieden” bedeuten kann, wobei “Frieden” im Tschechischen auch genau wie im Russischen “mír” heißt. Das heißt also, dass sich das Zimmer dadurch definiert, dass man darin seinen Frieden hat, sprich also in Ruhe gelassen wird. Der Reiz des Tschechischen besteht jedenfalls für mich auch darin, dass es mich über meine eigene Muttersprache nachdenken und Verbindungen erkennen lässt, über die man im Alltag gar nicht nachdenken würde. Es ist auch häufig eine Art Puzzlespiel, die Bedeutung bisher ungehörter tschechischer Wörter zu erraten, was mit einigem Nachdenken z.B. im Fall von “souhlasit” – “zustimmen” – gelingen kann.

Zum Spracherwerb gehört für mich immer auch dazu, Lieder in der neuen Sprache zu singen. Klára hat mir letzte Woche einiges an tschechischer Musik gegeben, wovon ich hauptsächlich die Gruppe Brontosauři verschlungen habe und deren Album Na kamení kamen bei mir in Endlosschleife lief. Klare Hörempfehlung!

Ich hoffe jedenfalls, dass ich in meinem Zimmer in Zukunft vor den Katzen Frieden haben werde und wünsche meinen Lesern auch “pokoj”. Bis bald!