Meine sehr verehrten Damen und Herren, willkommen zu dieser vierten Ausgabe meiner Abenteuer in Tschechien! :)

Brexit

Der Titel dieses Artikels steht unter dem Eindruck des britischen Referendums zum EU-Austritt. Vom Resultat dieses Referendums habe ich – wie so viele – mit ziemlichem Schock gelesen. Ich bin ein Verfechter eines vereinigten Europas. Ich habe am Mittwoch bei einem Konzert der Česká filharmonie die Europa-Hymne mitgesungen. “Alle Menschen werden Brüder” – bei dieser Textzeile habe ich meinem spanischen Kollegen den Arm um die Schulter gelegt. Mein Aufenthalt in Tschechien verdankt sich zu einem guten Teil den EU-Forschungsförderungen, genauso wie auch mein letzter Erasmus-Aufenthalt in Frankreich, durch den ich auch eine andere große Kultur Europas kennenlernen durfte. Im Kino freue ich mich immer auf den Vorspann der europäischen Kinos, der in kurzer Abfolge die europäischen Städte aufzählt, in denen sich Kinos befinden, und es macht mir Spaß, in der Animation die Städte zu finden, in denen ich schon gewesen bin. Meine eigene berufliche Zukunft könnte davon abhängen, ob mein Betreuer in Innsbruck eine Förderung des ERC (European Research Council) erhalten wird. Und nicht zuletzt ist meine Freundin Französin.

All das führt dazu, dass ich die Idee der europäischen Union unterstütze und hoffe, dass sich die europäische Union durch das Austrittsreferendum der Briten nun in eine bessere Richtung entwickelt. Sie bietet ja bei allen Vorzügen auch einige Angriffspunkte: Den nicht demokratisch gewählten Präsidenten, die intransparenten TTIP-Verhandlungen, die Flüchtlingspolitik, die inkohärente Haltung gegenüber der Türkei (du wirst Mitglied, du wirst kein Mitglied, du wirst Mitglied, …). Diese Angriffspunkte gilt es zu beseitigen. Es wäre ja schon ein Anfang, eine europaweite Abstimmung zur Fortführung der TTIP-Verhandlungen durchzuführen und den EU-Präsidenten direkt wählen zu lassen.

Berichterstattung

Am Montag stattete ich dem Wohnheim Strahov, in dem mir ein Wohnheimplatz zugewiesen wurde, einen Besuch ab. Der Autobus dorthin stand erst einmal eine ordentliche Zeit im Stau, sodass die eigentlich kurze Strecke zur Nervenprobe wurde, auch für den Busfahrer. Strahov begrüßte mich dann auch mit einem authentisch sowjetischen Stadion, mit viel Beton, an dem der Zahn der Zeit deutlich sichtbar genagt hatte. Direkt daneben begannen die Studentenblöcke, die sich mit ihren geschätzten acht bis zehn Stockwerken gegen das Stadion geradezu niedlich ausnahmen. Der letzte Block, Block 12, sollte der meine sein.

Můj byt je můj hrad.
Můj byt je můj hrad.

Nach der Überwindung meines Schocks ging ich in Block 11, wo ich ein Treffen mit der “hospodářka” ausgemacht hatte. Das kundige Auge beobachtete, dass sich in besagtem Block 11 – direkt gegenüber meines Blocks – ein studentischer Nachtklub befand, dem ich zu nachtschlafenden Zeiten ein beträchtliches Lärmentwicklungspotenzial zutraute. Doch machen wir zuerst die Tour bei Tag. Die hospodářka empfing mich freundlich und geleitete mich in Block 12. Erster Halt: die Küche. Zwei Kochplatten, eine Spüle, eine Arbeitsfläche – sonst nix. Die Frage nach der Existenz eines Kühlschranks – lednice – wurde verneint. Der Gang zum Zimmer war – wie erwartet – gefängnisartig. Das positivste war – das Zimmer selbst! Sauber, hell, nicht so ungeräumig. Ich bemerkte eine Ermahnung, wegen der Diebe doch bitte immer die Zimmertüre zu verriegeln.

Beim Verlassen des Blocks wurde mir noch von einem rauchenden Studenten aus vollen Zügen Rauch ins Gesicht geblasen. Ich weiß nicht genau, ob es der fehlende Kühlschrank, die Ermahnung des Zimmer-Schließens, das wenig ansprechende äußere Aussehen von Block 12, der genervte Busfahrer oder der Rauch blasende Student war, aber mir war bald klar: Hier bringen mich keine zehn Pferde hinein.

Ich traf vor dem Wohnheim noch eine Studentin, die mich ebenfalls vor Block 12 warnte: Sie sagte, das wäre der Block mit den größten Zimmern, aber auch gleichzeitig der am wenigsten renovierte Block. Ich entschied mich, meinen Ausflug wenigsten in einer Hinsicht produktiv zu nutzen, nämlich zu dem angrenzenden Petřín zu spazieren. Da ich ja im Besitz einer lítačka war, also einer Karte für den Nahverkehr, konnte ich auch gratis die Standseilbahn von dem Hügel in Richtung Innenstadt verwenden. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ich die Strecke vom Petřín hinab fast schneller zu Fuß bewältigen hätte können, aber mei. Been there, done that. Danach fuhr ich noch mit der Straßenbahn zurück Richtung Arbeit – und war dort trotz dieses morgendlichen Ausfluges immer noch der erste meiner Kollegen. :)

In den folgenden Tagen verhandelte ich mit Josef, dass ich nach meiner Rückkehr aus den Ferien bei seinen ehemaligen Mitbewohnern wohnen kann, bei denen ich ja schon einmal – aus amerikanischen Gründen – für eine Nacht untergetaucht bin.

Am Abend des Montags stattete ich meinen ehemaligen Mitbewohnern Eduardo und Natalia einen Besuch in ihrer neuen Wohnung ab. Zu dieser sind sie nach langer Suche gekommen, und zwar scheinbar aus dem Grund, dass der Vermieter einige Zeit in Spanien gearbeitet hatte und sich deshalb mit Eduardo gleich gut verstand. :) Ich wurde jedenfalls bestens bewirtet mit einer genialen spanischen Sauce, die auf den ersten Blick wie Joghurt aussieht, aber zum größten Teil aus Olivenöl gemacht ist, mit Knoblauch angereichert. Sehr fett und sehr gut. Da Eduardo auch schon ein elektrisches Klavier gekauft hatte und er Interesse an Klavierunterricht hatte, würde sich ein weiteres Arrangement nach dem “Saggener Modell” – sprich “Klavierunterricht gegen Abendessen” – anbieten. :)

Am Mittwoch gingen wir auch zusammen zu einem kostenlosen Konzert der Česká filharmonie auf dem Hradčanské náměstí, also vor dem Hradschin. Bei dieser Gelegenheit bin ich auch zum ersten Mal während dieses Aufenthalts in Prag zum Hradčany gegangen. Mir ist wirklich etwas entgangen! Die städtische Atmosphäre ändert sich blitzartig, sobald man in die touristische Zone um den Hradčany eintritt. Alles wird plötzlich viel ruhiger, viel sauberer, und viel schöner gestaltet. Man bekommt vielleicht einen Eindruck davon, wie Prag vor der sowjetischen Zeit ausgeschaut haben könnte.

Před Hradčany.
Před Hradčany.

Am Hradčanské náměstí waren jedenfalls schon alle Stühle besetzt, obwohl ich mehr als eine Stunde vor Beginn des Konzerts gekommen war. Und das in dieser Hitze! Nichtsdestotrotz ergatterte ich so ziemlich den letzten Platz an einer Mauer, von der aus man eine gute Aussicht auf die Bühne hatte. Etwas später kamen dann Eduardo und Natalia, und wir genossen das gemeinsame Konzert. Etwas störend waren die extrem vielen Leute, die auch immer Ameisen gleich einen Weg durch die Menge suchten, nur um häufig gleich wieder in die Gegenrichtung zu gehen. Weiters fielen mir einige jüngere Leute auf, die rein optisch irgendwie nicht zu dem Konzert-Ambiente zu passen schienen, mit Zigarette, Bier und Tätowierungen, nur um einen Eindruck zu geben. Diese Leute redeten auch ziemlich viel während des Konzerts, und ich habe den Eindruck, dass ihnen die Musik ziemlich egal war und sie sie mehr oder weniger als Hintergrundmusik für ihre Konversation benutzten, denn am Ende des Konzertes waren sie alle weg. Dafür sang ich zum Schluss umso lauter bei Beethovens 9. Symphonie mit, siehe oben.

Koncert.
Koncert.
Lidé.
Lidé.

Am Donnerstag Abend war wieder einmal laute Musik vor meiner Unterkunft, was ich als willkommenen Anlass sah, der quasi-vorstädtischen Atmosphäre zu entfliehen und einen Spaziergang in die Stadt zu machen. Ich begann mit dem Hradčany, der sich mir prächtigst darbot und dessen Kathedrale (?) durchaus mit Notre-Dame de Paris konkurrieren kann. Dann ging ich in das Stadtviertel “Malá Strána”, also “Kleine Seite”, wo mir besonders die alten Straßenschilder aufgefallen sind, die noch auf Deutsch und Tschechisch angeschrieben waren. Zeugen einer fernen Vergangenheit …

U vlašského špitálu.
U vlašského špitálu.

Heutzutage ist die deutsche Geschichte Prags totgeschwiegen; so existiert zwar eine “Kafkova” in Prag, aber nicht etwa an zentraler Stelle, so wie man es sich von einer nach einem weltbekannten Schriftsteller benannten Straße erwarten würde, sondern in der Nähe meiner Unterkunft, und eine genauere Inspektion des Straßenschildes offenbart, dass die Kafkova nicht etwa einen Tribut an Franz Kafka, sondern an einen Jindřich Kafka darstellt. Es gibt scheinbar Kafkas wie Sand am Meer. Anyway, in den Touristenströmen von der Malá Strána zur Karlsbrücke läuft mir auf einmal mein Kollege Chad entgegen, bei dem ich mich eigentlich schon verabschiedet hatte. Er war so ziemlich die selbe Strecke gegangen, wie ich sie geplant hatte – nur in entgegengesetzter Richtung. Sachen gibt’s. :)

Über den “Karlův most” spaziert man gefühlte zehn Minuten, da die äußerst zahlreichen Touristen ein flüssiges Weiterkommen verunmöglichen.

Karlův most.
Karlův most.

Auch die Innenstadt ist zu nachtschlafender Zeit gefüllt mit Touristen, allerdings hört man sehr wenig österreichischen Zungenschlag. Wegen der Überfüllung genießt man die etwas ruhigere “Pařížska”, und am Ende dieser Straße wird man durch eine wunderschöne Aussicht auf den Hradčany belohnt.

Hradčany.
Hradčany.

Über die Moldau flanierend geht es dann hinauf auf die Letenské sady, also zum Letná-Park, den einige feierwütige Studenten schon für sich entdeckt haben, sich unter alkoholischem Beigeschmack einen trashigen Freiluftfilm anschauend. Man geht allerdings eher zügig weiter und strebt in Richtung des nahegelegenen Dejvice, wo man noch einige Vorbereitung trifft für die Reise nach Portugal am nächsten Tag. Tatsächlich schreibe ich diese Zeilen eigentlich schon in Portugal, nachdem ein guter Teil dieses Artikels beim Warten auf Flughäfen entstanden ist – aber das und die eigentliche Konferenz in Coimbra wird hoffentlich ausführlicher im nächsten Artikel behandelt. :)

Ich wünsche meinen Lesern noch eine schöne Zeit und hoffentlich bis bald!