Seit dem Eintreten der Ausgangssperre vor zwei Wochen hat sich hier sehr wenig getan. Aus diesem Grunde habe ich mich dazu entschlossen, letztes Wochenende hier nichts zu schreiben, um meine Leserschaft nicht unnötig mit Nichtigkeiten zu langweilen.

Beginnen wir dennoch vielleicht mit den Ereignissen von vor zwei Wochen: Eine Reihe von Krawallen erschütterte zu dem Zeitpunkt die Niederlande. Diese Krawalle richteten sich gegen die niederländischen Corona-Maßnahmen. Wir haben davon eigentlich so gut wie gar nichts wahrgenommen, begeben wir uns momentan doch relativ wenig in das Zentrum Amsterdams hinein. Ein Ort, in dem sogar eine Corona-Teststraße gebrannt hat, hat jedoch relativ viel Aufmerksamkeit erhalten, und ich möchte mich heute ein wenig diesem Orte widmen. Es handelt sich um Urk.

Urk ist aus meiner Sicht eine der interessantesten Städte der Niederlande, obwohl ich sie noch nie besichtigt habe. Sie zeichnet sich aus durch eine extreme (protestantische) Religiosität, die u.a. durch eine sehr hohe Kirchendichte und Spendenbereitschaft bezeugt wird, gehen doch die meisten Einwohner zwei Mal sonntags zur Kirche und spenden im Durchschnitt pro Jahr und Einwohner fast das Hundertfache (!) eines Amsterdammers. Durch die Niederlande zieht sich eine Art Bibelgürtel von Nordosten nach Südwesten, und Urk könnte, obwohl nicht darin liegend, als sein ideelles Epizentrum gelten. Die Geschichte der Stadt hat etwas durchaus Tragisches: War doch Urk ursprünglich eine Insel, wurde die Stadt durch Einpolderung ein Teil des Festlandes, hat jedoch nicht ihre Inselmentalität verloren. Man sagt immer noch “auf Urk” statt “in Urk”, und es wurde von der Bevölkerung versucht, die schädlichen Einflüsse der Außenwelt von Urk fernzuhalten, u.a. auch durch Internetfilter. Doch interessanterweise gibt es in Urk gleichzeitig auch viele Drogenpartys. Diese Widersprüche, die Urk ausmachen, finden sich im größeren Maßstab auch z.B. in den USA wieder, wo ein ähnlicher Gegensatz zwischen fundamentalistischer Religiosität (Amish) und Modernität zu beobachten ist. Wenn es ein gallisches Dorf in den Niederlanden gibt, dann ist Urk sicherlich ein heißer Kandidat. Aus diesen Gründen möchte ich, sobald das Reisen wieder etwas angenehmer ist, Urk gerne einmal einen Besuch abstatten, was jedoch auch zu normalen Zeiten nicht so einfach ist, da es keine Züge dorthin gibt und sich in der Stadt auch kein einziges Hotel (ebenfalls aus religiösen Gründen) befindet. (Die meisten Informationen über Urk sind einem lesenswerten Artikel von de Tijd entnommen.)

Zurück aus dem Bibelgürtel nach Amsterdam. Die in meinem Leben wichtigste Veränderung war vermutlich die Ankunft meines neuen Bürostuhls am Montag Abend. Die Paketdienste in den Niederlanden haben erstaunlich lange Dienstzeiten; so ist es nicht ungewöhnlich, um neun Uhr abends noch Pakete zu empfangen. Dieser Stuhl läutet ein neues Zeitalter ein; so kann ich mittlerweile ohne Schmerzen auch längere Zeit arbeiten und — was vielleicht sogar noch wichtiger ist — wieder bequem Klavier spielen! So habe ich begonnen, ein neues klassisches Stück zu lernen, nämlich Une barque sur l’océan von Maurice Ravel. Bis jetzt habe ich fünf Seiten davon entziffert, werde aber noch einige Zeit an den insgesamt neunzehn Seiten zu kiefeln haben …

Mathilde lernt jetzt mit großem Eifer Niederländisch mit dem Dienst Duolingo, der die “Gamification” des Sprachenlernens meisterhaft betreibt. Die Seite enthält viele süße Bilder und viele Farben, vergleicht den Fortschritt in einer Rangliste mit anderen Sprachlernern, und gibt mit Erfahrungspunkten und Diagrammen immer neue Anreize, länger auf der Seite zu verweilen. (Und nur durch das kurze Ansurfen der Seite zum Behufe des Verlinkens bin ich “aus Versehen” in einem Japanisch-Sprachkurs gelandet.) Hoffentlich führt das nicht zu einem Burnout …

An der Fahrradfront gibt’s nicht viel Neues; wir haben letztes Wochenende wieder eine Radtour noch innerhalb von Amsterdam wegen extremer Kälte abbrechen müssen, und sind dann immerhin am folgenden Tag bis Weesp gekommen. Dabei haben wir einen sehr schönen Radweg aus Amsterdam heraus entdeckt, nämlich an dem zoologischen Garten Artis entlang, wo die Straße streckenweise nur von der Straßenbahn und Radfahrern befahrbar ist. Ein unglaublich angenehmes Gefühl, welches sich in Amsterdam leider nur selten einstellt, da die meisten Radwege auch von Motorrädern befahren werden dürfen und das auch ausgiebig werden: Eine sehr grobe Zählung meinerseits ergab in unserem Viertel an der Erasmusgracht Anteile von 25% bis 50% (!) Motorrädern am Radverkehr. Weiters ist anzumerken, dass sehr, sehr viele Radwege im Stadtgebiet aus lose gelegten Ziegeln bestehen, die das Radfahren sehr unangenehm machen und durch gelegentliche Löcher im Radweg auch gefährlich sind. Alles in allem stellt sich mir also ein eher ernüchterndes Bild von Amsterdam als Stadt des Radfahrens dar. Vom sehr häufigen und starken (Gegen-)wind reden wir da noch gar nicht.

Nichtsdestotrotz hat sich bei mir mittlerweile so etwas wie eine neue Stammradroute entwickelt, nämlich die Runde um den Sloterplas. Diese Route fahre ich tagein, tagaus. Weiters hat sich bei uns eine abendliche Spazier-Routine herausgebildet, durch die Ausgangssperre bedingt. Wir gehen meistens so zwischen 8 und 9 Uhr abends spazieren, um die Freiheit so lange wie möglich auszukosten. Da wir aber selten vor 8 Uhr essen, verschiebt sich dadurch das Abendessen gegen so 10 Uhr abends — für die meisten Niederländer, die ja schon wie die Dänen gegen 6 Uhr essen, sicherlich unvorstellbar.

Am Freitag habe ich einen interessanten Brief von dem sogenannten “Donorregister” erhalten. In diesem Brief wurde ich aufgefordert, mitzuteilen, ob ich meine Organe nach meinem Ableben spenden möchte. Und nicht nur das, ich wurde auch gefragt, welche Organe ich denn genau spenden möchte: Soll’s der Darm sein? Die Haut? Und vielleicht noch ein bisschen Augengewebe dazu? Der niederländische Pragmatismus macht auch vor solchen Fragen nicht Halt. Teilt man dem Donorregister im übrigen keine Wahl mit, so wird in das Register eingetragen, dass gegen eine Organspende nach Ableben keine Einwände hat. Seither bin ich besonders vorsichtig …

Man beachte die Schneeverwehung am Auto.
Man beachte die Schneeverwehung am Auto.

Heute, am Sonntag, ist zum zweiten Mal in diesem Jahr Schnee in Amsterdam gefallen. Das heißt, “gefallen” ist eigentlich ein Euphemismus; besser hieße es vermutlich “gestoben” oder “gewirbelt”, denn der Schnee weht durch die hohe Windgeschwindigkeit teilweise sogar die Hauswände hinauf! Es soll sogar der stärkste Schneesturm in den Niederlanden seit Jahren gewesen sein. Als wir uns aus der der gut beheizten Wohnung wagten, sahen wir als erstes … Tourengeher mit ihren Schiern, auf der Straße gehend. Auf dem Weg in den Erasmuspark bestaunten wir dann eine Menge Leute mit teils aberwitziger Wintersportausrüstung, wie z.B. einen zur Rodel umfunktionierten Karton! Im Park war Partystimmung, mit Schneeballschlachten und so, doch blies der Wind so stark und es war so kalt (saftige -5°C), dass wir bald wieder die Wärme der Wohnung vorzogen. In dieser habe ich allerdings die letzten Tage nicht so gut geschlafen, da durch den großen Temperaturunterschied zur Außenwelt und die schlechte Isolation der Wohnung die Heizung auch in der Nacht fest arbeitet und dadurch die Luft austrocknet, weshalb ich dann immer wieder aufwache und trinken muss.

Ich wünsche meinen Lesern einen angenehmen Wochenausklang und hoffentlich bis bald!