Am Montag fand unser wöchentliches Online-Mittagessen statt. Dabei lernte ich einiges über die Esskultur der Niederlande: Bei der Geburt von Kindern essen die Niederländer Beschuit met muisjes (Zwieback mit Mäuschen), wobei die “Mäuschen” ein Brotbelag aus Anissamen sind. Die Farbe der muisjes richtet sich seit den 1990er-Jahren nach dem Geschlecht des geborenen Kindes (blau für Jungen und rosa für Mädchen), was anscheinend für einige Kontroversen sorgte, da zuvor einheitlich Rosa verwendet wurde. (Außer bei der Geburt von Mitgliedern der niederländischen Königsfamilie Oranje, wofür Orange seit den 1930er-Jahren üblich ist.) Ein weiteres niederländisches Unikum ist der sogenannte Hagelslag (“Hagelschlag”), der am besten als Schokoladestreusel bezeichnet werden könnte (auch wenn mich die Niederländer für diese approximative Bezeichnung kritisiert haben) und auf einem mit Margarine bestrichenen Brot schon eine Mittagsmahlzeit darstellt. Auf das Brot kommt hier auch häufig “pindakaas” (Erdnussbutter). Was die Ausländer unserer Arbeitsgruppe an der niederländischen Küche am meisten schätzen, sind die Bitterballen, wobei es sich um panierte Fleischkroketten handelt.

Am Mittwoch Vormittag fuhr ich zur Entspannung mit dem Fahrrad nach Nes aan de Amstel. Dabei fiel mir zum ersten Mal auf, um wie viel länger der Radweg die Amstel entlang im Vergleich zu dem Polderweg ist, der zackig rechtwinklig die selbe Strecke bedient. In Nes wollte ich mir dann endlich einmal die sehr charakterische Sint-Urbanuskerk (Sankt-Urban-Kirche) anschauen, die das Landschaftsbild auf viele Kilometer hin prägt. Vor dem Pfarrhaus fand ich eine Gruppe älterer Damen vor, die mich sofort ansprachen und auf einen Kaffee einluden. Nachdem ich auf meiner Radtour nach Göteborg gelernt habe, dass man solche Einladungen keinesfalls ausschlagen sollte, nahm ich das Angebot dankend an. Die Damenrunde kam aus dem nahen Ouderkerk und erzählte mir, dass sie jeden Mittwoch einen Ausflug mit dem Fahrrad machten. Ich wurde natürlich sofort mithilfe meines Akzents als Deutschsprachiger erkannt, was so gut wie alle der fünf Damen zum Deutschsprechen animierte. Dabei stellte sich heraus, dass eine gerade dieses Jahr in Zams gewesen war. Schon vorige Woche traf ich einen Mann, der mir mit dem Brustton des Stolzes mitteilte, er wäre schon im Landeskrankenhaus Innsbruck behandelt worden. Der Name Österreich ist jedenfalls ein sicherer Eisbrecher in Konversationen mit Niederländern und inspiriert diese in gefühlten neun von zehn Fällen zu Erzählungen über ihre Urlaube, überwiegend übrigens in Tirol. Die Konversation mit den Damen erlaubte mir jedenfalls zum ersten Mal seit Wochen, mein Niederländisch wirklich zu üben, und führte mir vor Augen, wie abgesondert ich in letzter Zeit gelebt hatte. Die Besichtigung der Kirche war leider nicht möglich, da momentan scheinbar alle Kirchen in den Niederlanden geschlossen sind.

Weiters bestellte ich bei der Rückfahrt von Nes mein neues Klavier, welches im Laufe der nächsten Woche geliefert werden sollte. :) Somit sollten wir schon kurz nach unserem Umzug in die neue Wohnung in Genuss eines neuen Instruments kommen.

Am Samstag fuhr ich mit Mathilde nach Abcoude, das wir bei unserem Ausflug nach Vinkeveen schon gestreift, aber nicht besucht hatten. Dieser Ort übte schon seit längeren aufgrund seines alphabetischen Namens eine magische Anziehung auf mich aus. In Abcoude angekommen sah ich am Fluss Angstel (nicht zu verwechseln mit Amstel) eine Tafel, die an die Zerstörung des Ortes 1672 durch die Franzosen erinnerte. (Die Franzosen scheiterten übrigens mit der Eroberung Amsterdams daran, dass die Niederländer das Land so weit überfluteten, dass das Wasser für Pferde und Wägen zu tief, für Boote allerdings zu seicht war.) Bei der Übersetzung der Tafel fragte ich ein paar Ortsansässige (die übrigens auf Urlaub in Kirchberg in Tirol waren) nach der Übersetzung für einige Wörter, was mir wieder die Möglichkeit zum Niederländisch-Üben gab. Uneinigkeit gab es bei der Aussprache des Lauts “vr”: Während ich gelernt hatte, dass “vr” als “wr” ausgesprochen würde, waren sich die Ortsansässigen nicht einig, ob es “wr” oder “fr” sei. :) Während dieser linguistischen Diskussionen holte sich Mathilde Fritten und einen Glühwein bei dem Restaurant Eendracht, welches ich deshalb hier erwähne, da die Fritten laut Mathilde die bisher verkosteten Fritten in der Amsterdamer Albert Cuypstraat bei weitem in den Schatten stellten. Fritten stellen übrigens einen nicht zu vernachlässigenden Teil der niederländischen Ernährung dar; so gibt es viele Geschäfte (wie z.b. “De FrietFabrik”), deren Hauptprodukt Fritten sind. Die Fritten sind im Allgemeinen etwas dicker als in Österreich und werden mit Mayonnaise serviert. Gegessen werden sie auch durchaus als Nachmittags-Snack. Der Glühwein wird auch in den Niederlanden so geschrieben, obwohl die Niederländer ja eigentlich keine Umlaute auf dem “u” kennen, und kann durchaus geschmacklich mit entsprechenden Tiroler Produkten mithalten. :) Der Glühwein war für uns auch bitter notwendig, denn nach der Frittenpause war uns so kalt, dass wir nach einer nur recht kurzen Tour durch Abcoude den Rückzug antraten. In der hereinbrechenden Dunkelheit fuhren wir durch einen sehr dichten Nebel, den man mit dem Messer schneiden konnte, was die Niederländer aber nicht davon abhielt, weiter ohne Handschuhe und ohne Mützen Rad zu fahren; ein ganz besonders hartes Exemplar trank sogar am Fahrrad ein (wahrscheinlich gut gekühltes) Bier. Ich vertrete die Theorie, dass die Niederländer von klein auf gewohnt sind, bei jedem Wetter nach draußen zu gehen, was sie gegen Kälte und Regen abhärtet. Die Niederländer scheinen auch in anderen Dingen abgehärteter zu sein; so soll hier z.B. der Einsatz von Antibiotika verpönt sein, und zur Verhinderung von Wundinfektionen nach Operationen wird einfach der regelmäßige Einsatz von Wasserstoffperoxid empfohlen.

Am Sonntag machten wir uns auf eine Radtour nach Haarlem auf. Auf dem Weg kamen wir durch den Stadtteil Sloten, der sich besonders durch die dortige Molen van Sloten (Mühle von Sloten) auszeichnet. Diese Mühle ist laut einer Infotafel “eine der wenigen täglich öffentlich zu besichtigenden Mühlen von Holland”, wobei die Besichtigung im Moment corona-bedingt leider nicht möglich ist. Dafür erfuhr ich, dass eine solche Windmühle in der Lage ist, 60.000 Liter pro Minute (also tausend Liter pro Sekunde!) abzupumpen, was ich doch für recht bemerkenswert halte. Außerdem bestehen Verbindungen von Rembrandt zu Sloten, da dieser einige Zeit lang in Sloten arbeitete und außerdem ein Müllerssohn war.

Bei dieser Gelegenheit fällt mir eine Geschichte ein, die uns ein Arbeitskollege bei einem unserer montäglichen Online-Mittagessen erzählte. Bei einer Veranstaltung sollten alle Teilnehmer den anderen ein paar Quizfragen zu seinem Herkunftsland stellen. Ein Niederländer stellte die folgenden Fragen, die niemand beantworten konnte:

  1. Wie heißt Rembrandt mit Vornamen? (Die Antwort ist: Rembrandt.)
  2. Wie heißt Rembrandt mit Nachnamen? (Die Antwort ist: van Rijn.)

Genug zu Sloten und Rembrandt. Wir mussten unsere Radtour nach Haarlem leider schon nach 20km abbrechen und wieder zurückfahren, da uns bei 3°C Außentemperatur und bewölktem Himmel einfach zu kalt war. Wir sind eben keine Niederländer. :) Normalerweise könnte man sich ja einfach in einem Restaurant oder Café aufwärmen, aber in Corona-Zeiten scheiden solche Möglichkeiten aus, was effektiv auch grundsätzlich unkritische Unternehmungen wie Radtouren erschwert oder wie in unserem Falle verunmöglicht.

Allen Verwandten, Freunden und Bekannten wünsche ich eine schöne neue Woche und bis bald!